Aus der SZ von gestern: (kann nicht verlinken da nur in der Print-Ausgabe)
Dann mixt mal schön
Warum es nicht reicht, die Produktionsanleitung von Impfstoffen freizugeben Pandemie und Gerechtigkeit Sollte man das Patentrecht aussetzen? Und könnten auch andere Firmen die Impfstoffe herstellen? Vermutlich ist Coca-Cola Schuld, noch so ein böser, kapitalistischer Multi. John Stith Pemberton hat schon 1886 mächtig Geheimniskrämerei um die Rezeptur seiner Erfindung betrieben. Bis heute wird der braunen Brause nachgesagt, dass die Zutatenliste in einem Tresor in Atlanta liegt, zu dem höchstens zwei Personen Zugang haben. So geht das, und schon wird Wasser, Zucker und Phosphorsäure gemixt mit ein paar Aromastoffen zum umsatzstärksten Modegetränk weltweit, das trotz alberner Geschmackstests der Mitbewerber den Markt dominiert. Würden sie doch nur endlich das Geheimrezept herausgeben! Das mag sich die Welt angesichts der märchenhaften Erfolgsgeschichte der Mainzer Pharmafirma Biontech auch wünschen. Zuverlässig produziert das Unternehmen, das vor zwei Jahren allenfalls Insider kannten, Impfstoff gegen Covid-19, der wirksam und geschmeidig in Millionen Oberarmen landet, während die Konkurrenz von Astra Zeneca ihre Pannenserie ausbaut. Biontechs Adresse „An der Goldgrube“ wäre jedem Drehbuchautor gestrichen worden, stimmt aber tatsächlich – in der Straße unterhält auch die Mainzer Volksbank die Filiale „Goldgrube“, und die „Barbarossa-Bäckerei“ hat hoffentlich ein erträgliches Auskommen. Den Vakzin-Tüftlern von der Goldgrube ist ihr Erfolg zu gönnen, schließlich ist Impfstoff bisher der einzige Weg aus der Pandemie. Aber in Deutschland hat es Tradition, die Pharmaindustrie zu beschimpfen. Sollen sie ihr Wissen doch endlich teilen. Und sind sie nicht willig, muss der Staat eben Zwangslizenzen verfügen. Dann geht es los, dann werden von Timbuktu bis Taschkent Werke aus dem Boden gestampft, und die Welt hätte im Handumdrehen genügend Impfstoff. Wenn es so einfach wäre. Mal anders gefragt: Warum befindet sich unter den mittlerweile geläufigen Namen der Impfstoffhersteller eigentlich kein weltweiter Multi, nicht Novartis, nicht Hoffmann-La Roche, auch nicht Bayer, Sanofi, Boehringer oder Merck. Okay, einige – wie Pfizer – waren schlau genug, Kooperationen einzugehen mit denen, die es können. Sie selbst können es nämlich trotz Milliardenumsätzen nicht, jedenfalls nicht schnell genug. Aber in der Pandemie geht es um Geschwindigkeit – und nicht um Impfstoff in zwei Jahren. Deshalb ist das Gerede um die Freigabe der Patente und Zwangslizenzen vor allem: Gerede. Wer die Produktionstechnik nicht beherrscht, dem nützt alles Geld der Welt nichts Es ist nicht allein die Economy, stupid, sondern die Produktionstechnik. Und wer die nicht beherrscht, dem nützt alles Geld der Welt nichts. Mit der Gebrauchsanweisung für die Herstellung von mRNA-Vakzin verhält es sich nicht wie mit Großmutters Donauwelle, deren Rezept nur bei Chefkoch.de hochgeladen werden muss, damit alle Welt sie nachbacken kann. Produktion und Abfüllung sind aufwendig. Zudem sind etliche Ausgangssubstanzen knapp. Doch selbst wenn diese Hindernisse überwunden werden, ist es alles andere als trivial, die Herstellung von überschaubaren Mengen im Labor auf einen industriellen Maßstab hochzufahren. Die mRNA selbst, dieses einsträngige Erbmolekül, ist äußerst instabil. Zunächst muss ein zweisträngiger DNA-Strang als Vorlage synthetisiert werden. Der Ablesevorgang, der sich anschließt, muss frei von „fremder“ RNA gehalten werden, wofür eine Laborcrew viel Erfahrung braucht. RNAfrei zu arbeiten ist schwieriger als virenfrei zu arbeiten. Zum Schluss wird die RNA „aufgereinigt“, also so lange geputzt, bis nichts anderes da ist – keiner will im Impfstoff Reste der für die Produktion nötigen Bausteine vorfinden. Im Impfstoff wird die mRNA von einer Fetthülle stabilisiert. Doch blöderweise sind die Lipide unterschiedlich groß. Für den Impfstoff müssen sie einheitlich sein. Es geht also nicht darum, dass ein Maskenschnitzer auf Möbel umstellt Zudem haben Fettpartikel die unangenehme Eigenschaft, überall festzukleben. Deswegen braucht es speziell beschichtete Gläser, Schläuche, Anlagen, mit denen nur Experten umgehen können. Lipide sind zudem anfällig für Sauerstoff. Sie oxidieren – wenn das passiert, sind sie nicht mehr zu verwenden. Daher müssen sie unter „Schutzgas“ verarbeitet werden. Das geht wiederum nur unter einer Abzugshaube unter Sauerstoff-Ausschluss mit Schutzhandschuhen. Wer darin nicht geübt ist, kommt sich vor wie Sechsjährige beim Kindergeburtstag, die mit Wollhandschuhen und Besteck Schokolade auspacken. Die synthetischen Fette sind rar, denn Lipid-Nanopartikel werden auch von anderen Firmen benötigt. So wie BMW keine Autos bauen kann, wenn Zulieferer keine Scheinwerfer mehr produzieren, stockt die Produktion von mRNA-Impfstoff, wenn die Lipide aus sind. Ein weiteres Problem: Die Herstellung von mRNA-Vakzinen gab es bisher nicht im Industriemaßstab. Deshalb können sie nicht einfach „skaliert“ werden. Sie lassen sich nur umständlich auf größere Mengen übertragen. In größeren Gefäßen ändern sich Oberflächeneffekte und das Strömungsverhalten der schnell haftenden Substanzen. Eintopf kann man auf dem Herd zu Hause zubereiten, im Freibad ist das nicht so einfach, auch wenn es sich beheizen lässt. Größere Mengen in der Impfstoffherstellung bedeuten nicht einfach größere Anlagen, eher werden kleine parallel geschaltet. Für das Vakzin von Biontech sind nicht größere Pumpen im Einsatz, um das Lipid/mRNA-Gemisch zu transportieren, sondern 16 kleinere Pumpen garantieren Fließgeschwindigkeit und Viskosität in ausreichender Menge und Qualität. Es geht also nicht darum, dass ein Maskenschnitzer auf Möbel umstellt. Pharmariese Bayer hat zur Kooperation mit dem Tübinger mRNA-Hersteller Curevac verlauten lassen, dass es dauern werde, bis die Produktion in Schwung kommt. Und Großkonzern Novartis, seit September 2020 in Kooperation mit Biontech, hat für die Herstellung mindestens ein halbes Jahr eingeräumt. Um eine Technologie auszubauen, die es bisher nur im Labormaßstab gab, sind sogar für Multis der Pharmabranche neun Monate knapp bemessen. Bis also eine Firma irgendwo im Nirgendwo Impfstoff produzieren kann, vergehen eher Jahre – und diese Zeit hat gerade niemand. Die Hersteller von mRNA-Vakzin taugen deshalb nur bedingt als Buhmann. Mit einem Skript von Nasa-Physikern aus Houston wird es Ingenieuren anderswo auch nicht gelingen, eine Rakete zu bauen, die zum Mond fliegt. Jedenfalls nicht in ein paar Monaten. Erst recht nicht, wenn Zutaten ausverkauft sind, keiner programmieren und niemand die Geräte bedienen kann. Die Forderung nach Freigabe der Patente ist wohlfeil – sich für eine gerechtere Verteilung der Vakzine einzusetzen, wäre verdienstvoll.
_________________ Du kannst aus einem dicken Schwein kein Rennpferd machen, aber Du kannst versuchen, daraus das schnellste Schwein zu machen.
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