HansM hat geschrieben:
captainbeefheart hat geschrieben:
Weil wir sie mit unserer Sprache erzeugen. Es gibt halt nur „die Kindergärtnerin“ und „den Busfahrer“. Die Sprache manifestiert die Realität und erzeugt tiefgehende Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster in der (früh-)kindlichen Prägung. In den Bilderbüchern werden die Stereotype in Bildern noch tiefer eingebrannt. Sprache und Bilder erzeugen die „inneren Bilder“. Und in der 8. Klasse wundern sich die Schüler*innen dann, dass es auch Erzieher und Busfahrerinnen geben soll. Der anschließende „Confirmation Bias“ sorgt aber nur für kurzfristige Irritation, denn in der Realität lässt sich das eingeschliffenes Weltbild wieder bestätigen.
Das ist Bullshit. Und das denke ich mir immer öfter, je mehr ich von Dir lese.
Ich habe bestimmt 40 Kinderbücher daheim, aus denen ich nachwievor vorlese. Was Du schreibst, kann ich in keinster Weise bestätigen. Kennst Du zB "Ritter Rost"? In den Büchern gibt es ein Muster: Der Mann, insbesondere der Ritter, aber auch "Prinz Protz", ist ein Idiot, Dummschwätzer, unfähig, angeberisch und überhaupt. Und die Hauptprotagonisten, hier das "Burgfräulein Bö" ist die coole, intelligente, mutige Frau, die die Probleme löst. Wenn das anders herum wäre, hätten die Journalistinnen der linksgrünen Mainstreammedien schon längst dafür gesorgt, dass die Bücher verbrannt worden wären. Ich persönlich verbuche es für mich als Erfolg, dass zumindest der Große diesen männerverachtenden Müll nicht mehr vorgelesen haben möchte.
Wir haben ein Erklärbuch, in dem eine Feuerwehrfrau (!) den Betrieb auf der Wache erklärt. In einem anderen Buch fährt eine Frau den Schulbuss etc. pp.
Bullshit? Dann bin ich auf Deine Erklärung gespannt, wie sich Geschlechterrollen ausprägen und welche Rolle Bilderbücher darin spielen können. Gerne!
Ich hatte meine Position ja begründet, hier ein paar Quellen dazu. Zunächst ein lexikalischer Eintrag:
Entwicklung der Geschlechtsidentität [engl. development of gender identity], [EW, PER], umfasst sowohl körperliche, als auch psychosoziale Asp. Sie hat ihren Anfang in der Festlegung des genetischen Geschlechts, welches bereits ab ca. der 5. Schwangerschaftswoche zur Ausdifferenzierung männlicher oder weiblicher Geschlechtsmerkmale und im nachgeburtlichen E.verlauf zu festgelegten biol. gesteuerten E.schritten (z. B. hormonellen Veränderungen zu Beginn und im Verlauf der Pubertät) führt. Gleichzeitig findet eine umfassende kogn. (Kognition), affektive (Affekt) und verhaltensbezogene Entwicklung der Geschlechtsidentität statt, die in ihrem Verlauf von versch. sozialen und indiv. Faktoren beeinflusst wird. Bereits in den ersten beiden Lebensjahren werden dabei die Grundlagen für geschlechtstypisches Wahrnehmen, Kategorisieren und Bewerten gelegt und Kinder sind z. B. schon sehr früh dazu in der Lage, erwachsene männliche und weibliche Stimmen oder Gesichter zu unterscheiden. Bis zum Ende des zweiten Lebensjahres können Kinder die beiden Geschlechter sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern gut unterscheiden und besitzen ein zumindest rudimentäres Wissen über Geschlechterstereotype (z. B. Interessen, Gegenstände oder Verhaltensweisen, die zu den Geschlechtern passen). Häufig zeichnen sie sich auch in ihrem Spielverhalten durch geschlechtstypische Aktivitäten und Spielzeugpräferenzen aus. Im Verlauf der Kindergartenzeit kommt es zu einem zunehmenden Erkennen der Unterschiede zw. männlich und weiblich und einer ersten Entwicklung von Geschlechtskonstanz, wobei jüngere Kinder eher noch nicht verstehen, dass es neben Unterschieden zw. den Geschlechtern auch Gemeinsamkeiten zw. den Geschlechtern und Unterschiede innerhalb eines Geschlechts geben kann. Je nach Entwicklungsstand werden Geschlechterstereotype (und damit verbundene Interessen,Vorlieben und Verhaltensweisen) daher eher rigide oder flexibel betrachtet. Mit Beginn des Schulalters wird die genitale Grundlage des Geschlechts als wesentliche Entwicklungsvoraussetzung für ein volles Verständnis der Geschlechtskonstanz erreicht. Es wird nun erkannt, dass neben Geschlechtsunterschieden auch Gemeinsamkeiten zw. beiden Geschlechtern sowie Unterschiede innerhalb eines Geschlechts existieren. Parallel dazu sind die Kinder auch besser in der Lage, zw. geschlechtstypischen und -neutralen Merkmalen zu unterscheiden. Doch auch wenn diese Differenzierung eine grundsätzliche Flexibilisierung bedeutet, bleibt die Bedeutung der Geschlechterkategorien insbes. in selbstbezogenen Bereichen (z. B. Selbstkonzept) zunächst weitgehend erhalten. In der Adoleszenz werden schließlich Fragen nach der eigenen Identität zentral (Wer bin ich? Was will ich werden? Wie sehen mich die anderen?). Und auch die zeitgleich auftretenden körperlichen Veränderungen (Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes, Eintreten der Geschlechtsreife) werden zu bedeutsamen Entwicklungsaufgaben: Es gilt den eigenen männlichen bzw. weiblichen Körper kennenzulernen und zu akzeptieren, eine sexuelle Orientierung auszubauen, erste sexuelle Beziehungen aufzubauen, sich mit gesellschaftlich vorgegebenen Geschlechterrollen auseinanderzusetzen und zukunftsbezogene Entscheidungen (z. B. bzgl. Beruf, Partnerschaft, Familie) zu treffen. (Quelle:
https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/en ... identitaet)
Das entwicklungspsychologische Standardwerk kommt von Trautner (2008), die wichtigsten Punkte hier:
3 bis 6 Jahre:
- Wachsende Bedeutung der Geschlechterkategorie (Gruppierung von Dingen nach Ähnlichkeiten und Unterschieden als Schritt der kognitiven Entwicklung)
-
Entwicklung von Geschlechterstereotype um ca. 5 Jahre- Geschlechterkonzepte, Einstellungen und Präferenzen sehr rigide (noch nicht ausreichend kognitiv flexibel)
- Konstanz des biologischen Geschlechts wird mit ca. 6 J. wahrgenommen Kinder (s. Kohlberg)-
- Soziale Einflüsse werden besonders wichtig / wirksam
- Geschlechtshomogene Gruppe gewinnt an Bedeutung (Bewertung der eigenen Präferenzen und Verhaltensweise im Vergleich zur Bezugsgruppe)
In der Kindheit spielen Bilderbücher zweifelsohne eine (natürlich nicht die einzige) Rolle. Es gibt auch zahlreiche valide Herleitungen und empirische Forschungsergebnisse dazu, z.B. Keunecke (2000) oder Burghardt (2016). Burghardt zeigt z.B.:
"Bilderbücher vermitteln nicht nur Informationen, sondern haben auch einen großen Einfluss auf den Spracherwerb und die Ausbildung von kognitiven Kompetenzen. Damit leisten sie einen zentralen Beitrag zum Kulturalisierungsprozess von Kindern und übermitteln zugleich als Träger_innen gesellschaftlicher Diskurse Vorstellungen von Geschlecht und geschlechts(un)typischem Verhalten. Anhand der Analyse von 6 117 Figuren aus
133 aktuell in Kindertageseinrichtungen genutzten Bilderbüchern wird in diesem Beitrag den Fragen nachgegangen, welche zweigeschlechtlichen Verteilungsmuster in Bilderbüchern vorzufinden sind, inwieweit geschlechtsstereotype Darstellungen gefestigt beziehungsweise aufgebrochen werden und ob aktuell verwendete Kinderliteratur einem heteronormativen Paradigma verhaftet ist.
Und weiter:
"Um zu klären, wie Geschlechter in Bilderbüchern dargestellt werden, wurde ein theoriegeleitetes Kategoriensystem erstellt. Die Ergebnisse decken sich in weiten Teilen mit den in anderen Untersuchungen beschriebenen traditionellen Zuschreibungen an Frauen (z. B. Abbildung in Haushalt, fürsorgende Tätigkeiten) und Männer (z. B. Nachgehen eines Berufs). So zeigen bisherige Untersuchungen, dass das Aufbrechen von Geschlechtsstereotypen die Ausnahme darstellt und heteronormative Ordnungsstrukturen innerhalb der Bilderbücher reproduziert werden. Auch in unserer Untersuchung werden Männer deutlich häufiger im Beruf dargestellt als Frauen, diese hingegen eher in fürsorgenden und haushaltsnahen Tätigkeiten. Die von Schmerl, Schülke und Wärntges-Möschen (1988) nachgewiesene Zuschreibung von Männern als aktiv kann mit den vorliegenden Daten nicht bestätigt werden. Insgesamt zeigt sich, dass in bestimmten Bereichen eine Tendenz zu nichtstereotypen Zuschreibungen auffindbar ist, zum Beispiel bei der häufigeren Darstellung von männlichen Figuren in Beziehung zu anderen Figuren. Es finden sich jedoch auch Bereiche (z. B. das Aussehen), die in deutlichem Maße stereotypen Zuschreibungen entsprechen."
Ritter Rost kenne ich. Meine Kinder fanden das mäßig spannend. Und ja, es gibt seit einigen Jahren auch Veränderungen bei den Kinderbüchern, ich schrieb das bereits in einem Post.