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 Betreff des Beitrags: Soll Wolfgang Thierse die SPD verlassen?
BeitragVerfasst: 10 Mär 2021 09:26 
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Die Älteren unter uns werden sich noch an die einst starke Partei SPD erinnern.
Die ganz Alten an Wolfgang Thierse.

An diese ist die Frage gerichtet, ob Thierse die SPD verlassen soll.

Stein des Anstoßes ist sein Beitrag "Wie viel Identität verträgt die Gesellschaft" in der FAZ:

„Was früher die Konfession war, später die Ideologie wurde, ist heute Identität als erfolgversprechendstes Mittel, um Zugehörigkeit zu signalisieren...“

https://www.thierse.de/startseite-meldungen/22-februar-2021/
Ich bin dafür, dass er in der SPD bleibt. Jedes Mitglied, dass die SPD noch hat, ist wichtig, auch wenn es ein alter, weißer Mann ist :keko

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 Betreff des Beitrags: Re: Soll Wolfgang Thierse die SPD verlassen?
BeitragVerfasst: 10 Mär 2021 09:47 
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Macht die Tatsache, dass sich die SPD überflüssig gemacht hat nicht auch automatisch diese Frage überflüssig?

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 Betreff des Beitrags: Re: Soll Wolfgang Thierse die SPD verlassen?
BeitragVerfasst: 10 Mär 2021 10:56 
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Cogi Tatum hat geschrieben:
Was die SPD, die Quantität und die Qualität ihrer Mitglieder (z. B. Karl Lauterbach der für die PKW-Maut stimmte) und die Bedeutung der Partei betrifft, hoff(t)e ich vergeblich und seit Jahrzehnten auf die vielzitierte Rückbesinnung der "alten Tante SPD" auf das was sie (in meiner oberflächlich gefühlten Erinnerung muss ich einschränkend zugeben) einmal ausgemacht hat - Partei des "kleinen Mannes", nah an den Gewerkschaften, sich mit den Arbeitgebern zoffend, sozial, gerecht, usw....


"Den kleinen Mann", so wie es mein Vater als Familienvater war, gibt es halt nicht mehr. Zum Teil wurden die Fabriken durch Roboter ersetzt, zum Teil arbeiten dort viele Migranten, Frauen und junge Menschen. Die junge Führung der SPD setzt nun auf sog. Minderheiten. Der Wahlerfolg ist bescheiden.

Interessant finde ich, dass es dieser Richtungsstreit bisher nicht in die großen Talkshows schafft. Immerhin war Thierse Präsident des Deutschen Bundestages. Nach eigenen Angaben hat er wegen diesem Artikel tausende Zustimmungen bekommen, aber auch einen Shirtstorm und echte Bedrohungen.

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 Betreff des Beitrags: Re: Soll Wolfgang Thierse die SPD verlassen?
BeitragVerfasst: 10 Mär 2021 12:47 
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Also z.B. die einfachen Arbeiter oder Sekretärinnen beim Daimler verdienen ganz gut. Allerdings ist es auch so, dass viele Menschen nicht mal mehr 2 Monate ohne Einnahmen überbrücken könnten. Das Sparguthaben von 50% der Deutschen reicht dazu nicht.
Es wird letzendlich viel mehr konsummiert und kaum mehr gespart.
Meine Eltern, beide mit Volksschule und uns 3 Kindern, konnten in jungen Jahren ein Haus bauen, jedes Jahr in Urlaub fahren und alle 5 Jahre ein neues Auto kaufen. Es ging ständig und jedes Jahr nach oben. Mein Vater demonstrierte für die 35h Woche und dann mal für 5% mehr Gehalt. Man wurde an der steigenden Produktivtät und Gewinnen der Unternehmen beteiligt. Heute fließt das in das Finanzsystem und die Aktieninhaber. Der Mitteltand friert ein oder stürzt ab.
Eigentlich hätte die SPD genug zu tun, gerade jetzt und in Zukunft, wenn die wirtschaftlichen Folgen von Corona fassbar werden.

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 Betreff des Beitrags: Re: Soll Wolfgang Thierse die SPD verlassen?
BeitragVerfasst: 10 Mär 2021 13:24 
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Cogi Tatum hat geschrieben:
keko hat geschrieben:
...Meine Eltern, beide mit Volksschule und uns 3 Kindern, konnten in jungen Jahren ein Haus bauen...


Volksschule. :daumen An den Begriff erinnere ich mich. Hat es gaaaanz früher gegeben. Wie süß!

Ich erinnere mich auch daran, dass "unser" Briefträger in den 1960er-Jahren auch ein Haus bauen konnte.

:tomtiger


Damals war es auch nur die Post und nicht die Post AG.
Bei uns in der DHL-Filiale arbeiten 6 Teilzeitkräfte. Keine einzige davon kann von ihrem "Job" leben.

Aber längst riechen die Menschen den Braten. Wir arbeiten gerade an einer neuen Software für den Zentralen Einkauf eines bekannten Unternehmens.
Blockeriend wirkt vor allen Dingen das Wissen von den Einkäufern abzuziehen. Den Älteren (>60) ist es egal, aber die Jüngeren (<50) wissen, dass wir sie "arbeitssuchend" machen werden: Einkäufe werden automatisiert ablaufen, datenbasiert, sekundenschnell und auch nachts.

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 Betreff des Beitrags: Re: Soll Wolfgang Thierse die SPD verlassen?
BeitragVerfasst: 10 Mär 2021 14:38 
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MD Emu

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keko hat geschrieben:
Die Älteren unter uns werden sich noch an die einst starke Partei SPD erinnern.
Die ganz Alten an Wolfgang Thierse.

An diese ist die Frage gerichtet, ob Thierse die SPD verlassen soll.

Stein des Anstoßes ist sein Beitrag "Wie viel Identität verträgt die Gesellschaft" in der FAZ:

„Was früher die Konfession war, später die Ideologie wurde, ist heute Identität als erfolgversprechendstes Mittel, um Zugehörigkeit zu signalisieren...“

https://www.thierse.de/startseite-meldungen/22-februar-2021/
Ich bin dafür, dass er in der SPD bleibt. Jedes Mitglied, dass die SPD noch hat, ist wichtig, auch wenn es ein alter, weißer Mann ist :keko

Mir ist Wolfgang Thierse ziemlich egal.

Allerdings ist schon seine Eingangsthese für mich nicht nachvollziehbar. In der Vor-Moderne sind wir Menschen in einen Stand geboren worden und hatten praktisch keine Möglichkeit uns in der "gottgegebenen" Gesellschaft zu verändern. Das war zugleich unsere Identität und das ist durch die Aufklärung / Moderne verändert worden. Wir Menschen haben damit unsere prinzipielle Freiheit bekommen.

Veränderungen im gesellschaftlichen Leben waren nun möglich, es gab durchaus multiple Identitäten und es ist schon mal Quatsch, dass "Ideologien" an die Stelle von Konfessionen gerückt sind. Das war in einigen Gesellschaften vielleicht so, aber keineswegs bei uns.

Noch abstruser wird es dann, dass nun die "Identität", die wir schon immer, auch in der Standesgesellschaft hatten, des Follow-up der Ideologien sei.

Was wir beobachten können ist, dass wir sehr viel fluider in unseren Identitäten unterwegs sind und dass auch die Gleichzeitigkeit von widersprüchlichen Identitäten keine Seltenheit mehr sind.


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 Betreff des Beitrags: Re: Soll Wolfgang Thierse die SPD verlassen?
BeitragVerfasst: 10 Mär 2021 14:57 
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MD Emu

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keko hat geschrieben:
Cogi Tatum hat geschrieben:
keko hat geschrieben:
"Den kleinen Mann", so wie es mein Vater als Familienvater war, gibt es halt nicht mehr.


Das stimmt einerseits.
Denn wenn ich mir anschaue für was heute ausgebildete Handwerker, Arbeiter und kleine Angestellte Geld ausgeben können und dies mit Hingabe tun, denke ich mir oft "Wow, uns geht es gut".

Andererseits gibt es (männliche wie weibliche) Briefzusteller, Kurierfahrer, Rentner, Friseure, Supermarktkassierer, Zeitungs-, Brötchen- und Smoothie-Verkäufer in Bahnhöfen, Reinigungskräfte in Büros, Krankenhäuser und Hotels, Altenpfleger und Türsteher vor Kaufhäusern und Abi-Feiern, usw., bei denen ich mich frage wie die jeden Monat über die Runden kommen. Die vorgenannten sind die neuen "kleinen Leute" und sie werden nach meinem Gefühl immer mehr.
Aber Kevin Kühnert glaubt anscheinend genügend SPD-Wähler*innen, mit denen Olaf Scholz zum Kanzler gemacht werden kann in der LGBTI-Community zu finden...

:tomtiger


Also z.B. die einfachen Arbeiter oder Sekretärinnen beim Daimler verdienen ganz gut. Allerdings ist es auch so, dass viele Menschen nicht mal mehr 2 Monate ohne Einnahmen überbrücken könnten. Das Sparguthaben von 50% der Deutschen reicht dazu nicht.
Es wird letzendlich viel mehr konsummiert und kaum mehr gespart.
Meine Eltern, beide mit Volksschule und uns 3 Kindern, konnten in jungen Jahren ein Haus bauen, jedes Jahr in Urlaub fahren und alle 5 Jahre ein neues Auto kaufen. Es ging ständig und jedes Jahr nach oben. Mein Vater demonstrierte für die 35h Woche und dann mal für 5% mehr Gehalt. Man wurde an der steigenden Produktivtät und Gewinnen der Unternehmen beteiligt. Heute fließt das in das Finanzsystem und die Aktieninhaber. Der Mitteltand friert ein oder stürzt ab.
Eigentlich hätte die SPD genug zu tun, gerade jetzt und in Zukunft, wenn die wirtschaftlichen Folgen von Corona fassbar werden.

Ja, die SPD hätte viele Felder, die sie potenziell besetzen könnte: Ökologie, Gesundheit, Energie, Grundeinkommen, Sozialversicherung etc. aber da fehlte jeweils der Mut eine echte politische Richtung zu definieren und zu verfolgen. Und, wie bei den anderen Parteien auch, stehen Personen (bzw. die Konflikte dieser Personen) vor den Inhalten.

Deinen ökonomischen Aussagen kann ich nicht zustimmen: Die Bruttolöhne haben sich in den letzten 20 Jahren im Schnitt um etwa 4% positiv entwickelt. Das ist ziemlich ordentlich und damit ist ein Teil des Produktivitätszuwachses auch bei den Mitarbeitenden gelandet. Bei gleichzeitig recht niedriger Inflation ist dadurch auch ein guter Nettoertrag übrig geblieben - und der ist wiederum größtenteils gespart und damit Vermögen aufgebaut worden. Wir haben in Deutschland schon immer im Ländervergleich eine hohe Sparquote, die 2020 so groß war, wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Das ist alles eigentlich recht erfreulich.

Eigentlich deshalb, weil gerade beim Vermögen eine Entkopplung der Real- und Finanzwirtschaft stattgefunden hat: Waren die Volumen 1970 noch in etwa gleich, haben wir heute ein Verhältnis von Real- zu Finanzvermögen von etwa 1:4. Das ist das Problem, bei dem auch die SPD gefordert wäre. Realvermögen investiert in Produkte und Services, Finanzvermögen über zum Teil abstruseste Instrumente in spekulative Finanzanlagen, ohne jeden Bezug zur Realwirtschaft. Bestes Beispiel war die Entkopplung von Krediten zur Hausfinanzierung vom eigentlichen Objekt zu deren Handelbarkeit. Das hat uns dann 2008 den Crash beschert.

Eine Finanztransaktionssteuer, ein uralter Hut von Tobin aus dem Jahre 1972 (!) also genau zu dem Zeitpunkt, als das Problem begann zu entstehen, wäre eine gute und echte politische Idee für die SPD gewesen.


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 Betreff des Beitrags: Re: Soll Wolfgang Thierse die SPD verlassen?
BeitragVerfasst: 10 Mär 2021 15:40 
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captainbeefheart hat geschrieben:
...

Deinen ökonomischen Aussagen kann ich nicht zustimmen: Die Bruttolöhne haben sich in den letzten 20 Jahren im Schnitt um etwa 4% positiv entwickelt. Das ist ziemlich ordentlich und damit ist ein Teil des Produktivitätszuwachses auch bei den Mitarbeitenden gelandet. Bei gleichzeitig recht niedriger Inflation ist dadurch auch ein guter Nettoertrag übrig geblieben - und der ist wiederum größtenteils gespart und damit Vermögen aufgebaut worden. Wir haben in Deutschland schon immer im Ländervergleich eine hohe Sparquote, die 2020 so groß war, wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Das ist alles eigentlich recht erfreulich.....


Ich denke, da muss man genau hinschauen. Zum einen hat sich der Abstand zwischen dem was Chefs verdienen und die kleinen Leute vervielfacht. Zum anderen ist Vermögensaufbau für viele unerreichbar. Geld hat die Eigenschaft, dass es sich gegenseitig anzieht.
Ich spreche auch von den "einfachen Leuten" wie es meine Eltern waren. Diese "Karriere" ist heute nicht mehr denkbar. Diese Menschen werden heute gnadenlos abgehängt und auch z.T. vergessen von der SPD. Die Frage, ob eine Frau arbeitet oder nicht, stellt sich eigentlich gar nicht mehr, denn sie muss. Meist auch in Vollzeit. Das Leben meiner Eltern war bequemer und sorgenloser: es war klar, dass das nächste Auto größer und komfortabler wird und es den Kindern noch besser ging. Alle verbesserten sich Jahr für Jahr. Die 5% auf das Sparbuch waren sicher.
Zwar geht es mir besser als meinen Eltern, aber ich muss ungleich mehr dafür tun als meine Eltern und habe eine jahrelange Ausbildung. Bei meinen Kindern gehe ich davon aus, dass sie noch mehr tun müssen, um überhaupt den Standard halten zu können. Gleichzeitig weisen die Prognosen darauf hin, dass wir in Zukunft Arbeit schlechter bezahlen und weniger qualifizierte Arbeit benötigen werden in der Breite.

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 Betreff des Beitrags: Re: Soll Wolfgang Thierse die SPD verlassen?
BeitragVerfasst: 10 Mär 2021 16:11 
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MD Emu

Registriert: 04 Aug 2017 22:10
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keko hat geschrieben:
captainbeefheart hat geschrieben:
...

Deinen ökonomischen Aussagen kann ich nicht zustimmen: Die Bruttolöhne haben sich in den letzten 20 Jahren im Schnitt um etwa 4% positiv entwickelt. Das ist ziemlich ordentlich und damit ist ein Teil des Produktivitätszuwachses auch bei den Mitarbeitenden gelandet. Bei gleichzeitig recht niedriger Inflation ist dadurch auch ein guter Nettoertrag übrig geblieben - und der ist wiederum größtenteils gespart und damit Vermögen aufgebaut worden. Wir haben in Deutschland schon immer im Ländervergleich eine hohe Sparquote, die 2020 so groß war, wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Das ist alles eigentlich recht erfreulich.....


Ich denke, da muss man genau hinschauen. Zum einen hat sich der Abstand zwischen dem was Chefs verdienen und die kleinen Leute vervielfacht. Zum anderen ist Vermögensaufbau für viele unerreichbar. Geld hat die Eigenschaft, dass es sich gegenseitig anzieht.
Ich spreche auch von den "einfachen Leuten" wie es meine Eltern waren. Diese "Karriere" ist heute nicht mehr denkbar. Diese Menschen werden heute gnadenlos abgehängt und auch z.T. vergessen von der SPD. Die Frage, ob eine Frau arbeitet oder nicht, stellt sich eigentlich gar nicht mehr, denn sie muss. Meist auch in Vollzeit. Das Leben meiner Eltern war bequemer und sorgenloser: es war klar, dass das nächste Auto größer und komfortabler wird und es den Kindern noch besser ging. Alle verbesserten sich Jahr für Jahr. Die 5% auf das Sparbuch waren sicher.
Zwar geht es mir besser als meinen Eltern, aber ich muss ungleich mehr dafür tun als meine Eltern und habe eine jahrelange Ausbildung. Bei meinen Kindern gehe ich davon aus, dass sie noch mehr tun müssen, um überhaupt den Standard halten zu können. Gleichzeitig weisen die Prognosen darauf hin, dass wir in Zukunft Arbeit schlechter bezahlen und weniger qualifizierte Arbeit benötigen werden in der Breite.

Ja, wenn wir genau hinschauen, dann hat sich zwar der Schere zwischen den sehr gut verdienenden und den geringer verdienenden Menschen in den letzten 2 Jahrzehnten weiter geöffnet, das ist richtig.

Gleichzeitig ist aber auch bei den Geringverdienenden ordentlich was vom Produktivitätsfortschritt angekommen und zwar in den letzten beiden Jahrzehnten mehr als in den beiden Jahrzehnten davor (Du kannst Dir das alles auf Statista runterziehen). Das Finanzvermögen der privaten Haushalte ist deshalb (und aufgrund der geringen Inflation) 2020 so groß gewesen wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Absolut gesehen konnten also so viele Haushalte wie noch nie Vermögen aufbauen. Das ist eindeutig

Und ebenso gleichzeitig haben wir einen prekären Arbeitsmarkt, der uns nur deshalb nicht um die Ohren fliegt, weil - um zum Thema zurückzukommen - die SPD den Mindestlohn durchgebracht hat.

Ein nächstes Projekt wäre für die SPD demnach das bedingungslose Grundeinkommen, weil, wie Du richtig schreibst, wir eine massive Verwerfung am Arbeitsmarkt durch die Digitalisierung erleben werden, auf die unsere Sozialsysteme nicht ansatzweise vorbereitet sind. Ich fahre eben mit dem Zug aus einer Fabrik zurück nach Hause, in der z.B. bestimmte Bohrungen bisher von ca. 200 Mitarbeiter*innen vorgenommen wurden, jetzt überwachen 8 Personen den voll digitalisierten Maschinenpark. Als IT'ler weiß Du in welchem Ausmaß das auf uns zurollt.


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 Betreff des Beitrags: Re: Soll Wolfgang Thierse die SPD verlassen?
BeitragVerfasst: 10 Mär 2021 16:31 
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MD Emu

Registriert: 04 Aug 2017 22:10
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Cogi Tatum hat geschrieben:
captainbeefheart hat geschrieben:
Was wir beobachten können ist, dass wir sehr viel fluider in unseren Identitäten unterwegs sind und dass auch die Gleichzeitigkeit von widersprüchlichen Identitäten keine Seltenheit mehr sind.
Das ist doch sehr abstrakt für mich. :???:
Wie äußert sich denn im Alltag die "Gleichzeitigkeit von widersprüchlichen Identitäten", wo und wie oft kommt dies vor und muss dies von der gesamten Gesellschaft durch die Anwendung einer eigens angepassten Sprache begleitet werden?

:tomtiger

Ich hoffe, es ist für Dich nachvollziehbar , dass die Aussage "Ich bin ..." als expliziter Ausdruck der Identität "früher" sehr viel einfacher war, als das heute der Fall ist. In meinem vorigen Post hatte ich das ein wenig hergeleitet. Das "Ich bin ..." war gesellschaftlich eindeutig definiert und vorgegeben, Abweichungen waren per definitionem "krank" (es gibt dazu einen wunderschönen Beitrag von Paul Watzlawick, in dem er mit einem Teilnehmer auf der Bühne ein Rollenspiel macht, er als Psychotherapeut, der Teilnehmer als kranker Irrer - und im Gesprächsverlauf wird dabei immer weniger klar, wer eigentlich "krank" ist).

Abstrakt? Hast Du Dich mal ein wenig mit Migration und dem was das mit den Menschen macht, auseinander gesetzt? Hast Du Dich mal mit sexuellen Identitäten beschäftigt und wie Menschen, die hier nicht der "Norm" (wer legt die fest und was genau ist denn ein Abweichung?) entsprechen fühlen? Und selbst bei ganz banalen Identitätsaspekten wird es heute schnell unklar: Früher war der ausbeutende Firmenboss gleichzeitig auch kompromissloser Familienpatriarch, heute können diese Identitätsaspekt in einer Person ganz unterschiedlich, zum Teil sogar widersprüchlich ausfallen.

Damit Du, z.B. mit Blick auf Migration und entsprechende fluide Identitäten einen Einblick bekommst, lies gerne hier: https://www.coach-koeln.de/fluide-ident ... -akademie/


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 Betreff des Beitrags: Re: Soll Wolfgang Thierse die SPD verlassen?
BeitragVerfasst: 10 Mär 2021 16:38 
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captainbeefheart hat geschrieben:
....
Ein nächstes Projekt wäre für die SPD demnach das bedingungslose Grundeinkommen, weil, wie Du richtig schreibst, wir eine massive Verwerfung am Arbeitsmarkt durch die Digitalisierung erleben werden, auf die unsere Sozialsysteme nicht ansatzweise vorbereitet sind. Ich fahre eben mit dem Zug aus einer Fabrik zurück nach Hause, in der z.B. bestimmte Bohrungen bisher von ca. 200 Mitarbeiter*innen vorgenommen wurden, jetzt überwachen 8 Personen den voll digitalisierten Maschinenpark. Als IT'ler weiß Du in welchem Ausmaß das auf uns zurollt.


Tja.... ich verstehe nicht, warum sich die SPD dem Thema nicht annimmt. Das meine ich ja: das Thema Identität/Gendern usw. ist natürlich wichtig und richtig. Aber es gibt aus meiner Sicht wichtigere Themen.

Ich sehe gar keine andere Möglichkeit als ein Bürgergeld oder Grundeinkommen. Wahrscheinlich dann schon als echtes digitales Geld.

Ich glaube, es muss erst so weit kommen, dass das geleaste Auto von alleine wieder zurück zum Leasingunternehmen fährt, wenn man seine Rate nicht begleichen kann, bis die Menschen kapieren, was da auf uns zukommt.
:blue

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 Betreff des Beitrags: Re: Soll Wolfgang Thierse die SPD verlassen?
BeitragVerfasst: 10 Mär 2021 16:57 
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MD Emu

Registriert: 04 Aug 2017 22:10
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keko hat geschrieben:
captainbeefheart hat geschrieben:
....
Ein nächstes Projekt wäre für die SPD demnach das bedingungslose Grundeinkommen, weil, wie Du richtig schreibst, wir eine massive Verwerfung am Arbeitsmarkt durch die Digitalisierung erleben werden, auf die unsere Sozialsysteme nicht ansatzweise vorbereitet sind. Ich fahre eben mit dem Zug aus einer Fabrik zurück nach Hause, in der z.B. bestimmte Bohrungen bisher von ca. 200 Mitarbeiter*innen vorgenommen wurden, jetzt überwachen 8 Personen den voll digitalisierten Maschinenpark. Als IT'ler weiß Du in welchem Ausmaß das auf uns zurollt.


Tja.... ich verstehe nicht, warum sich die SPD dem Thema nicht annimmt. Das meine ich ja: das Thema Identität/Gendern usw. ist natürlich wichtig und richtig. Aber es gibt aus meiner Sicht wichtigere Themen.

Ich sehe gar keine andere Möglichkeit als ein Bürgergeld oder Grundeinkommen. Wahrscheinlich dann schon als echtes digitales Geld.

Ich glaube, es muss erst so weit kommen, dass das geleaste Auto von alleine wieder zurück zum Leasingunternehmen fährt, wenn man seine Rate nicht begleichen kann, bis die Menschen kapieren, was da auf uns zukommt.
:blue

Zustimmung keko.

Eine Ausnahme (da wiederhole ich mich): Das geht auch gleichzeitig. Gendern und andere, vielleicht wichtigere Projekte vorantreiben. Ersteres kostet nämlich gar nichts, tut nicht weh und es braucht bloß ein bissl Fantasie und Einfühlungsvermögen. Aber sei's drum, Sprache verändert sich sowieso und in ein paar Jahren ist das für uns weitgehend selbstverständlich.

Wer war nochmals Thierse?


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 Betreff des Beitrags: Re: Soll Wolfgang Thierse die SPD verlassen?
BeitragVerfasst: 10 Mär 2021 18:47 
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MD Emu

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Cogi Tatum hat geschrieben:
captainbeefheart hat geschrieben:
Abstrakt? Hast Du Dich mal ein wenig mit Migration und dem was das mit den Menschen macht, auseinander gesetzt? Hast Du Dich mal mit sexuellen Identitäten beschäftigt und wie Menschen, die hier nicht der "Norm" (wer legt die fest und was genau ist denn ein Abweichung?) entsprechen fühlen?


Oh ja. Da höre ich (außerhalb von Corona) einiges an Tatsachenberichten: Meine Frau gibt Schwimmunterricht für Kinder im Schwimmverein.
Vor dem Training trifft man sich im Foyer dann geht es gemeinsam in die Sammelumkleidekabinen. Die Mädchen gehen in die Kabine für Mädchen und die Jungs gehen in die für die Buben. Bisher hat noch kein Kind den Zutritt zu eine der Kabinen verweigert. So viel, wenig abstrakt aber sehr realitätsnah zu den "sexuellen Identitäten" im Alltag des Jahres 2021. Und zur Migration: Wie in den meisten deutschen Sportvereinen sind z. B. die Meldelisten für die ersten Wettkämpfe der Kiddies voll mit Namen die nicht Paul, Lara, Sophie, Arndt und Leonie lauten sondern Nesrin, Yilmaz, Hülya, Krzysztof.

Und dann gibt es in der Schwimmabteilung noch den Jungen der neben dem Schwimmen noch sehr gut, gerne und erfolgreich im Verein tanzt (während seine Klassenkameraden auf dem Bolzplatz sind). Und weißt Du was? Keinen kümmert es!

Und jetzt bitte deine Berichte aus dem Alltag in deinem Umfeld.

:tomtiger

Anekdotische Evidenz ist schön, weil jede*r in der eigenen Lebenswirklichkeit bleibt. Ich könnte Dir ebenso einige anekdotische Beispiele erzählen, das bringt aber nichts.

Empirische Evidenz finde ich bissl aussagekräftiger, z.B.: Migranten (definiert als Personen mit eigener Migrationserfahrung) wiesen eine höhere Prävalenz depressiver Symptome auf (28 %) als Nichtmigranten (19 %) (Zeitschrift Psychiatrische Praxis 2012, Vol. 39, Nr.3, S. 116-121).

Dazu gibt es weitere gute Fundstellen zu anderen Identitätsthemen, die ich Deinem Rechercheeifer überlasse. Ich finde das bemerkens- und vor allem beachtenswert.


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 Betreff des Beitrags: Re: Soll Wolfgang Thierse die SPD verlassen?
BeitragVerfasst: 10 Mär 2021 21:29 
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MD Emu

Registriert: 04 Aug 2017 22:10
Beiträge: 1253
Cogi Tatum hat geschrieben:
captainbeefheart hat geschrieben:
Anekdotische Evidenz ist schön, weil jede*r in der eigenen Lebenswirklichkeit bleibt.

Das besonders Schöne an meiner anekdotischen Evidenz ist, dass meine Lebenswirklichkeit die eines übergroßen Anteil der Bevölkerung ist.

captainbeefheart hat geschrieben:
Ich könnte Dir ebenso einige anekdotische Beispiele erzählen...

Darum hatte ich Dich gebeten. So hoffe ich aus menschlicher Neugier mehr über Dich und deinen eifrigen Einsatz für Gendersternchen zu erfahren. Warum zierst Du dich?

captainbeefheart hat geschrieben:
Empirische Evidenz finde ich bissl aussagekräftiger, z.B.: Migranten (definiert als Personen mit eigener Migrationserfahrung) wiesen eine höhere Prävalenz depressiver Symptome auf (28 %) als Nichtmigranten (19 %)...

Und? Stehen den krankenversicherten Migranten nicht die gleichen (ggf. unzureichenden) Hilfsangebote zur Verfügung wie der einheimischen Bevölkerung?
Und welcher Anteil an den depressiven Symptomen unter Migranten sind durch die Besonderheiten des Herkunftslandes / dem Kulturkreis dem sie entstammen verursacht? Und wie gut oder schlecht sind verglichen mit Deutschland die Hilfsangebote in den Herkunftsländern der Migranten?

Und warum (zur Hölle :dead ) soll man deswegen der Aufforderung zur Sprachvermurksung durch präsente und lautstarke Nicht-Migrant*innen folgen, wenn Wolfgang Thierse und viele andere einleuchtende Argumente haben es nicht zu tun?

:tomtiger

Ich denke, ich lebe in einer durchaus ähnlichen Lebenswirklichkeit, ich erlebe z.B. beim Schwimmen (Dein Beispiel) ähnliches. Gleichzeitig erlebe ich aber auch anderes und das macht mich nachdenklich und ich versuche mit anderen Kontexten, auch wenn sie seltener vorkommen, achtsam zu sein.

Genau Dein "Und?" bei der Frage höherer Prävalenz zur Depression von Migranten zeigt m.E. das Problem mit diesen und verwandten Themen: Es geht nicht darum, ob Hilfsangebote zur Verfügung stehen, das ist selbstverständlich. Sondern die Frage ist in diesem Beispiel, warum es eine signifikant höhere Fallzahl gibt. Und einer der Gründe (natürlich nicht der einzige, Depression ist eine komplexe, multi-kausale Krankheit) ist der gesellschaftliche Umgang mit anderen Identitäten, die typischerweise eine deutliche Minderheit darstellen. Hier ist für mich ein sensibler, achtsamer und empathischer Umgang der "Mehrheit" gefordert. Das beginnt bei der Sprache und endet noch lange nicht bei konkretem Handeln.


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 Betreff des Beitrags: Re: Soll Wolfgang Thierse die SPD verlassen?
BeitragVerfasst: 10 Mär 2021 23:08 
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Registriert: 21 Jun 2004 12:00
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captainbeefheart hat geschrieben:
...
Eine Ausnahme (da wiederhole ich mich): Das geht auch gleichzeitig. Gendern und andere, vielleicht wichtigere Projekte vorantreiben. Ersteres kostet nämlich gar nichts, tut nicht weh und es braucht bloß ein bissl Fantasie und Einfühlungsvermögen. ....


Ich bin selten ein Freund von entweder-oder und bin es hier ja auch nicht.
Immerhin hat der SPD-Kandidat hier in Bawü wichtige Punkte schon im Blick für den kommenden Wahlsonntag:

„Wenn Corona nicht mehr unser größtes Problem sein wird, werden uns andere Probleme wieder einholen. Der gewaltige Wandel in der Autoindustrie, die Digitalisierung, die Wohnungsnot und natürlich auch der Schutz unseres Klimas und der Umwelt“

Bild

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