
Ich trabe inmitten 250 Gleichgesinnten mit einer im Wind heftig zuckenden Fackel in der Hand durch die mittelalterlichen Kopfsteinpflaster von Rothenburg.
Im Schlossgarten bekommen wir von einem wehrhaft gerüsteten Ritter mit Pferd den Auftrag eine Botschaft in die Ziele Bad Mergentheim(50 km), Tauberbischofsheim (71 km), Wertheim (100 km) oder Gmünden( 116 mi) zu überbringen. Den Ort und den Sinn dürfen wir selbst wählen, zwischendurch aufzuhören wäre aber unbedingt zu vermeiden und würde mit "DNF"(Darf Nicht Feiern") bestraft.

Nach einem steilen, engen, für mich etwas zu ungebremsten Abstieg, was sich später vermutlich noch rächen sollte , warten wir im dunklen Taubertal auf den Start. Wohltuend gemütlich sortiert sich danach das Feld, die Stirnlampen ermöglichen genügend Sicht, die Strecke ist unvollstellbar lang, die Stimmung trotzdem gelassen.
Ich denke an die Zeit vor fast 5 Jahren als ich nach der MS Diagnose unglaublich glücklich nach einem ersten 45 Minuten Lauf war, passend auch damals zu einem Schloß. Nicht weit, nicht schnell, aber wieder zurück im aktiven Leben .
Nach einer Stunde kann ich die Stirnlampe abgeben, es bleibt allerdings sehr kühl.
Bestens versorgt treffe ich bald einen lieben Landsmann. Wir vertreiben uns die Zeit mit Geschichten. Auch andere lerne ich kennen. Man ist hier keine Konkurrenz, sondern Schicksalsgenosse.
Die Helfer sind sehr freundlich und ermöglichen flotte Straßenwechsel bei der vorzüglich ausgeschilderten Strecke.
Nach 30 km liege ich trotz relativer Zurückhaltung genau im Plan, exakt jeweils 1.03 Std / 10 km.
Soweit, so gut , jetzt lerne ich allerdings meine Botschaft kennen, Demut
Ein großer Nachteil einer Punkt zu Punkt Strecke ist, dass der Wind, wenn er denn ungünstig weht, nicht wechselt.
Im offenen Tal traben wir voll gegen die eiskalte Mauer, wesentlich schlimmer als der Zeitverlust ist allerdings, dass jetzt meine Oberschenkel trotz 3/4 Hose muskulär völlig blockieren. Ab Km 35 wird jeder Schritt zur Qual , mindestens 10-15 km zu früh. Bei meinen 45 km in ähnlichen GA1-Tempo vor 2 Wochen hatte ich bei weitem nicht solche Probleme. Bergab geht jetzt gar nichts mehr. Ich will meinen neuen Lauffreund Elmar voraus schicken, doch er will mich nicht allein lassen und zieht mich Richtung Ziel.
Herzblatt treffe ich alle 10 Kilometer, bei km 45 meint sie, bis 55. Zu fertig, kann ich die Instinkte jahrzehntelangem Gehorsam nicht unterdrücken und nicke nur kurz.
Im Mergentheimer Schloßpark Labyrinth wird es knüppelhart das Traben nicht aufzugeben, aber ich will zumindest die 50 km laufend finishen. Nach für mich immer noch guten 5.23 Std. ist es auch geschafft.
Dummerweise muss ich aber weiter zu Herzblatt und das heißt ich muss bis Tauber, sonst würde ich nicht meine Botschaft überbringen können.
Bei mir geht gar nichts mehr, außer wirklich nur noch Gehen .
Elmar läuft weiter, Herzblatt vorwarnen. Später wird er die 100 in 11.41 Std. souverän finishen.
Ich bereue, nicht bei 50 ausgestiegen zu sein, spätestens bei 71 ist definitiv Schluß, aber das dauert und dauert und dauert.
Es ist jetzt nicht so, dass ein sonst lockerer 10min /km Geh-Schnitt, leicht fällt. Ganz im Gegenteil, ich kämpfe dafür mit hohem, unablässigem Einsatz und weithin blockierten Muskeln, da ich mir das Zeitlimit für die 71 leider nicht merkte. Ich rechnete mit 9.15 Stunden(in Wirklichkeit 10.15), zumindest würde Gehen ohne Einbruch immer noch reichen.
Gelegentlich überholen mich durchweg schlanke, fitaussehende Sportler, während vereinzelt Zuschauer verwundert ob der Streckenlänge anfeuern. Dies hilft mir bei der Einschätzung, ganz so ohne ist das Streben nicht, Tempo hin oder her.
Nach 3.30 Std für eine Halbmarathondistanz überschreite ich die Ziellinie in Tauberbischofsheim und finishe in 8.53 Std.
Theoretisch könnte ich bei gleichbleibendem Tempo sogar die 100 packen, aber dafür war das Risko schmerzgeplagt umzukippen mittlerweile zu hoch. Ich habe 2017 meine sportlichen Ziele mit dem Challenge Triple und anderem mehr als erfüllt .
Meine Oberschenkel waren muskulär völlig hinüber, am Ende konnte ich sie nicht mal ansatzweise anheben.
Demut gelernt, Ziele bewahrt, DNF vermieden, aber auch nicht überzogen. Die WK-Saison ist jetzt zu Ende.
Allen einen geruhsamen Sonntag.
(Nachtrag: nur mangels Konkurrenz wurde ich sogar 3. AK)
