Anja hat geschrieben:
Ich hänge an dem Punkt, ob die Menschen freiwillig nach Deutschland kommen oder hierzu gezwungen werden. Und nein, sie werden nicht gezwungen, nach Deutschland zu gehen. Sie möchten dies und darum tun sie es. Kein Mensch in Syrien oder wo auch immer wird von einer Stelle genötigt nach Deutschland zu gehen als einzige Alterntive zum Überleben dort. Menschen in Syrien werden nicht automatisch getötet, wenn sie sich weigern würden nach Deutschland zu gehen. Verstehst Du den Unterschied?
Die meisten der Flüchtlinge sind zunächst in die syrischen Nachbarländer geflüchtet, mit der Hoffnung auf eine baldige Rückkehr in ihre Heimat. Es hat sich gezeigt, dass dies auf absehbare Zeit nicht möglich ist. In den jordanischen Zeltstädten und den Zeltstädten der Türkei können sie nicht dauerhaft bleiben, da es dort keine Schulen für die Kinder gibt, teils aber einfach zu wenig zu essen und keinerlei Perspektive für die Zukunft.
Deshalb suchen die Flüchtlinge nun eine neue Heimat, in der sie für sich und ihre Familien eine Zukunft sehen. Es geht dabei nicht nur um den Schutz vor Gewehrkugeln, sondern auch um berufliche Perspektiven, um die Ausbildung der Kinder, und um die Möglichkeit, sich mit möglichst wenig Fremdenhass in eine fremde Kultur zu integrieren. Aus nachvollziehbaren Gründen will deshalb niemand in Ungarn bleiben.
Anja hat geschrieben:
Wenn das Überleben dort (welches Land auch immer) komplett unmöglich ist, dann frag ich mich, warum die Familien nicht grundsätzlich zusammen fliehen.
Das liegt an den Kosten der Flucht. Die Familien können meistens nur das Geld für eine einzige Person zusammenkratzen. Meistens der durchsetzungsfähigste junge Mann der Familie, dem man zutraut, die lebensgefährliche Flucht zu schaffen. Falls dem Asylantrag stattgegeben wird, was bei Flüchtlingen aus Kriegsgebieten wie Syrien normalerweise der Fall ist, werden die Familien gemäß unserer demokratisch beschlossener Gesetze nachgeholt.
Anja hat geschrieben:
Warum tut man dann nichts, um das Überleben im Land zu sichern.
Im Moment weiß niemand, wie man intervenieren könnte, ohne das dies zum Boomerang wird. Die Amerikaner wollen Assad stürzen. Es gibt keine Gruppierung, die für diesen Fall bereitstünde, die Macht zu übernehmen, außer dem Islamischen Staat. Eine Rückkehr der Flüchtlinge in einen Islamischen Staat ist äußerst fraglich, da es sich bei den Flüchtlingen großenteils um jene gemäßigten Muslime handelt, die sich im Rahmen des Arabischen Frühlings für einen Sturz Assads und Reformen eingesetzt haben.
Die Russen wollen Assad halten. Assad hat 10x so viele Menschen umbringen lassen wie der Islamische Staat. Die Flüchtlinge waren, wie gesagt, mehrheitlich seine Gegner (Bürgerkrieg). Bleibt er an der Macht, werden die Flüchtlinge nicht in seinen Machtbereich zurückkehren können.
Anja hat geschrieben:
Was war dann während des Irak-Kriegs? Oder oder oder? Warum hat man da nicht auch die ganzen Menschen herausgeholt, sondern versucht im Land was zu verändern?
Während des Krieges haben Iraker in Deutschland Asyl bekommen, allerdings nur in kleiner Zahl. Die Anerkennungsquote der Asylanträge lag bei 65%. Der Versuch, etwas im Land zum Guten zu verändern, ist meines Wissens nach kaum der Rede wert. Ganz im Gegenteil: Durch das Wirtschaftsembargo hat niemand mit dem Irak Handel getrieben, auch die Deutschen nicht. Was das zum Beispiel für die medizinische Versorgung der Zivilbevölkerung bedeutet, kannst Du hier nachlesen:
http://www.ag-friedensforschung.de/regi ... biger.htmlDiese Freundlichkeit gegenüber den Irakern, die uns nichts getan haben, wird uns noch auf die Füße fallen.
Anja hat geschrieben:
Warum war die Bundeswehr in Afghanistan und man hat nicht die Menschen dort "aufgefordert" einfach nach Europa zu kommen?
Auch wenn Du es in Gänsefüßchen schreibst: Niemand hat die Syrer aufgefordert, hierher zu kommen. Das ist eine populistische Übertreibung. Die flüchtenden Menschen waren bereits in Europa, und zwar im Bahnhof von Bukarest.
Anja hat geschrieben:
Ist es fair nur die Reichen, die sich eine Flucht leisten können, so versorgen und die Armen läßt man im Land sterben? Müßten wir dann nicht alle Syrer herausholen.
Müssten: ja, müssen: nein. Ethisch gesehen tragen wir für jeden, dem wir helfen könnten, es aber nicht tun, ein Mitverschulden an seinem Leid. Ohne Wenn und Aber: Für den Preis meines neuen Rades hätte ich dutzende afrikanische Kinder vor dem Erblinden retten können. Da gibt es keine moralische Hintertür.
Im vorliegenden Fall der Kriegsflüchtlinge geht es jedoch weniger um Gerechtigkeit oder ethische Zwänge, sondern um die Anwendung unserer eigenen Gesetze. Verfolgten Menschen wird Asyl gewährt, wenn sie danach fragen. Die Gesetze verlangen nicht, Menschen aus Syrien abzuholen.
Anja hat geschrieben:
Wenn die Türkei nicht mehr sicher ist (so daß die Syrer dort bleiben können), müßten wir dann nciht auch alle Türken aus dem Land holen?
Die Türkei hat mehr Flüchtlinge aufgenommen als ganz Europa zusammen.
Anja hat geschrieben:
Wenn wir feststellen, daß die Länder so unsicher sind, dann finde ich muß in den Ländern mehr gemacht werden und nicht nur denen geholfen werden, die sich auf den Weg machen (können/wollen).
Volle Zustimmung! Es handelt sich allerdings um souveräne Länder, denen wir auf dem kurzen Dienstweg wenig vorzuschreiben haben. Angela Merkel hat auf der politischen Bühne Europas jedoch ein gutes "Standing". Ich traue ihr durchaus zu, dass sie es schafft, die europäischen Nachbarn zur Mithilfe zu bewegen.