Hochwassereinsatz Sachsen-Anhalt, 04.06.2013, Tag 2: tatsächlich gibt es in der Nacht keinen Einsatz, ich wache um 5:45 das erste Mal auf, schlafe weiter bis 6:45 und dann gibt es eine Premiere für mich: Laufschuhe an und das erste Mal im Einsatz gelaufen. Bei den ersten Großeinsätzen hatte ich gar nix an Sportsachen mit, bei den letzten bin ich nicht dazu gekommen. Abmeldung beim Gruppenführer für 45 min und raus in die kühle, frische Morgenluft. Was mir auffällt: die Böden sind selbst in den Höhenlagen gesättigt mit Wasser, man läuft wie auf einer Matratze. Und das ganze Nass drückt natürlich nach unten und in den flacheren Regionen dann wieder aus dem Boden raus... Ich laufe eine schöne 10 Km - Runde über die Felder, anschließend eine feine Dusche und Frühstück (mittlerweile stehen neben dem unvermeidlichen Bottich mit Bockwürsten auch Brötchen mit Marmelade, Butter, Nutella, Joghurt, Obst - die Gaststätte hat richtig rangeklotzt! Super!
Danach gibt es eine kurze Ansage des für den Bereitschaftsraum zuständigen Zugführers, dessen LogV (Logistik Verpflegung) eigentlich für das leibliche Wohl sorgen soll ("Aber die übergeordnete Führung hat bisher nicht genehmigt, dass ich Euch auch mittags was Warmes koche - ich kommentiere das besser nicht..." und sein Gesicht dabei sprach Bände...) über die allgemeine Lage und dass derzeit noch keine Einsätze vorliegen. Das bedeutet Warten.
Oder auch nicht. Nach 5 min ruft unser Gruppenführer uns zusammen "Wir haben einen WP-Einsatz, Abfahrt sofort mit Wegerechten". Äh - mit Blaulicht und Sirene? Was ist denn hier noch so akut? Also schnell die Thermoskanne mit Kaffee befüllt, auf's Auto gesetzt und auf den Lotsen gewartet. Schon da hat sich das mit dem Blaulicht und der Eile eigentlich erledigt in meinen Augen aber gut. Wir fahren in den Nachbarort, dort weitere Klärung und dann weiter nach Bennewitz. Dort befindet sich eine vollgelaufene Zisterne der örtlichen Kanalisation, die leergepumpt werden muss, damit die Entwässerung des Dorfes wieder funktioniert - zumindest wird uns das so erklärt. Das Dorf selbst ist evakuiert, da die direkt daneben liegende Mulde bis zur Deichkrone schwappt und die Sicherheit der Deiche nicht mehr gewährleistet ist. Pumpe aufgebaut, 400m Schlauchstrecke verlegt, um in einen Schacht weiter oben an der Straße zu pumpen, der ins nächste Klärwerk führt. Sieht nach kurzem Einsatz aus, denn die Zisterne ist vielleicht 4m tief bei einem Durchmesser von 3m. Das wären rund 30 cbm Wasser, für die Pumpe 5 min. Allerdings kommt seitlich noch ein Entwässerungsrohr rein, das jetzt noch unter Wasser liegt und die umliegende Wiese entwässert. Aber selbst wenn man das Wasser dazu nimmt, sind das vielleicht 60 min pumpen.
Es kommt aber wie so oft anders: zunächst sinkt der Wasserspiegel schnell, es läuft naoch was aus dem Rohr nach, dann sinkt der Pegel nochmal etwas und dann tut sich gar nichts mehr. Die Pumpe zieht mit fast 5000 l/min aber der Pegel bleibt konstant, da muss also einiges Wasser nachfließen - wenn auch nicht klar ist, wo das eigentlich her kommt. Das klärt sich dann etwas später als wir die Nachricht bekommen, dass die Feuerwehr etwas weiter entfernt aus einer vollgelaufenen Senke Wasser über einen Deich in das Abwassersystem pumpt. Hätte man ja mal sagen können... Somit ändert sich die Einsatzdauer vorerst auf "unbestimmt". Und das heißt: WARTEN. Überhaupt sollte man als Helfer in der WP in der Lage sein, sich zu beschäftigen, denn die meisten Einsätze bedeuten: aufbauen, Pumpe an und dann - warten. Unter Umständen laaange warten.
Kurze Zeit später tauchen zwei Männer aus dem nahegelegenen Klärwerk auf, schauen sich das Ganze an und beobachten penibel, ob das Wasser ein Stück weiter im Schacht überhaupt richtig abfließt, denn das Klärwerk arbeitet gar nicht. Kein Strom. Dort ist zur Zeit eine Fachgruppe Elektroversorgung des THW zugange und installiert ein Aggregat, um die Maschinen und Pumpen wieder in Betrieb nehmen zu können. Aber anscheinend ist noch genug Platz in den Becken, unser Gepumptes fließt von dannen.
Irgendwann kommt dann auch mal die Polizei vorbei und schaut sich an, was wir da treiben, am Deich ist eine Drohne im Einsatz und filmt die Situation am Deich und in der Mulde, auf der Umgehungsstraße rollt immer wieder Bundeswehr mit Schwimmpanzern, THW, Feuerwehr etc. - und wir sitzen in der Sonnen und pumpen... Nachdem die örtliche freiwillige Feuerwehr das Essen gebracht hat (es gibt Nudeln mit Tomatensoße und diesmal Würstchen (!) drin) teilen wir Schichten ein, denn hier werden wir noch länger pumpen. Ich beschließe, zusammen mit einem Kollegen die Nachtschicht zu machen. Der Rest macht sich auf die Socken in die Unterkunft (da unsere Fahrzeuge am Einsatzort bleiben müssen, macht die örtliche freiwillige Feuerwehr den Shuttle-Dienst), Ablösung geplant morgens um 7:00.
Wir richten uns erstmal in Ruhe die Einsatzstelle nachtfertig ein. Heißt: ein LKW bleibt dort stehen, wo das Wasser in die Kanalisation fließt, die Straße wird mit Hütchen und Blinklichter komplett gesperrt (denn über den 15cm dicken Schlauch der unter Druck steht darf keiner drüber fahren), der andere LKW steht in Sichtweite der Pumpe (und dieser hat - im Gegensatz zu meinem - eine Doppelkabine und somit eine Sitzbank, auf der man auch schlafen kann). Während wir dies tun, kommt der erste Anwohne (
- ich denke es ist evakuiert) und fragt, ob wir ein "Dienstbier" trinken wollen. Nee, sorry, geht nicht. Aber Kaffee nehmen wir immer gerne. Geht klar, meint er und verschwindet.
Keine 5 min später fragt der nächste Anwohner. So langsam dämmert mir, dass da wohl einige dem Aufruf nicht gefolgt sind. Naja - wird schon gut gehen. Nachdem wir grade fertig mit umparken sind, kommt die Frau des Erstgenannten raus und stellt ein Tablett auf den Zaunpfeiler. "Hier ist Kaffee und Milch und Zucker, ich bring gleich noch was Warmes raus!" Verschwindet und kommt mit dem nächsten Tablett. Was ist da wohl drauf...? Richtig: Ein Kochtopf mit Würstchen, Brötchen, saure Gurken.
Aus purer Höflichkeit esse ich noch eine Wurst und schwöre mir: das war die letzte in diesem Einsatz. Währenddessen kommt der Nachbar aus dem Haus, sieht uns und ruft rüber "Wollt Ihr noch was Essen? Ich hab noch ne große Schüssel mit Nudelauflauf mit Roster und Hackfleisch!" Äh ja, nein Danke. Wirklich nicht. Rostbratwürstchen im Nudelauflauf geht jetzt gar nicht. Außerdem bin ich eh satt und das Zeug nachher nachts vielleicht kalt.
Kurze Zeit später - ich drehe die erste Kontrollrunde - stehen die Nachbar (mittlerweile 5) in trauter Runde am Zaun und zischen ein Bier nach dem anderen, die Damen trinken irgendeinen Likör und alle gackern fröhlich durcheinander. Auch gut. Wir richten uns im LKW ein, es wird langsam dunkel und ich stelle den Wecker auf 30min Intervall, dann jeweils eine Kontrollrunde. Mein Copilot meint, er würde sich dann mal hinlegen, ich solle ihn dann wecken, wenn ich schlafen will. Ist recht. Blackberry ans Laptop gestöpselt und erstmal Nachrichten gelesen.
Hier mal ein paar Bilder:
Mein LKW mit Hänger, dahinter die Straßensperre und der Schlauch, der hinterm Hänger im Gulli verschwindet:
Der andere LKW in Pumpennähe:
Die Pumpe (von mir "Blaue Elise" getauft):
Und der Blick aus dem Auto bei Sonnenuntergang:
Grade als ich meinen ersten Kontrollgang machen will, steht ein freundlicher Mann am Auto, der eigentlich vorbeifahren möchte. Geht nicht, sorry, bitte außen herum. Dann stellt sich heraus: er arbeitet im Klärwerk. Ah - das trifft sich gut. Vielleicht weiß er, wo das Wasser herkommt. Er weiß: unten in der Zisterne ist ein Zufluß, über diesem stehen zwei große Pumpen (die momentan nicht funktionieren, deswegen ja wir vor Ort) und darüber ein Gitterrost (auf dem liegt unser Saugkorb, deswegen kommen wir nicht tiefer in die Zisterne, was aber kein Problem darstellt). Gespeist wird das Ganze über ein Rohr, das unter dem in einiger Entfernung liegenden Bahndamm durchführt und dort eine Neubausiedlung entwässert. Normalerweise wäre das alles kein Problem, die Zisterne ist ja fast leer sonst und aus der Siedlung kommt nicht viel aber... Besagter Bahndamm wurde aus Hochwasserschutzgründen vor einer Woche an den Stellen, an denen Untertunnelungen unter der Bahn gebaut wurden zugeschüttet und nun kann das dort stehende Wasser, das von unten durch den Boden drückt nicht weg. Außer hier in die Zisterne aber dank dem Prinzip der kommunizierenden Röhren steigt es nur so hoch, dass es grade über den Rand der Zisterne läuft. Dann bleibt es stehen. Nun pumpen wir zwar aber wir müssen über diesen Weg quasi die komplett Siedlung leerlöffeln. Das kann ja wirklich dauern. Er verspricht allerdings, so bald wie möglich einen Reparaturtrupp zu schicken, der die beiden Pumpen in der Zisterne repariert. Dann wären wir überflüssig. Die Nacht über wird aber nix passieren.
Nun gut, also der erste Kontrollgang. Die blaue Elise brummt in der Nacht vor sich hin:
Zunächst ein Blick in die Zisterne:
Genug Wasser drin, dass Elise nicht trocken läuft.
Dann der Blick auf die Manometer:
Paßt - Ansaugen mit -0,7 bar, Pumpen mit 2 Bar (für die Fachleute: diese Pumpen sind für Menge gedacht, nicht für Druck, daher bekommen wir kaum mehr als 3 Bar hin)
Schließlich der Blick auf die Instrumente:
Alles prima (im Uhrzeigersinn): 1690 U/Min = mittlerer Lastbetrieb, mehr geht an der Stelle nicht, weil die Ansaughöhe zu hoch ist und die Pumpe bei höherer Drehzahl durch Kavitation Schaden nehmen könnte; Verbrauch 5,3 l/Stunde, auch ok, der Tank hat 220 Liter Fassungsvermögen, das reicht locker für die Nacht aus; 89°C Motortemperatur, die wichtigste Anzeige; 461 Betriebsstunden, eher unwichtig, erst nach längerer Einsatzdauer sollte man dann mal nach dem Öl gucken und einen Check des Motors machen.
So vergeht die Nacht, ich werde nicht wirklich müde, es ist mild und schon um 4:00 sieht der Blick aus dem Fenster so aus:
Echt idyllisch - wäre da am Bildende nicht der Deich, der kurz vorm Brechen ist.... Mein Copilot wacht auch irgendwann wieder auf und wir warten auf die Ablösung.