Samstag Früh, vier Uhr, der Handy-Wecker läutet.
Ich bin gleich hellwach, kein Wunder, heute ist der Tag, auf den ich mich seit Monaten gefreut und gewissenhaft vorbereitet hab.
EmbrunMan, eine Langdistanz in den französischen Alpen, alleine 4130 HM auf der 186 Kilometer langen
Radstrecke, vom Marathon liegen keine Zahlen vor, es ist beim Laufen aber ähnlich hügelig wie beim Radfahren. Bei der vierten LD stellt sich zumindest bis zum Startschuß eine gewisse Routine ein, ich erledige die Morgentoilette, während der Kaffee auf dem Campingkocher brodelt. Drei Krapfen, reichlich Mineralwasser und eine große Tasse Milchkaffee, dann gehts Richtung Wechelzone und Schwimmstart, wo schon seit gestern das Rad hängt. Letzte Vorbereitungen, die auch mit zwei Promille und vierzig Stunden Schafentzug noch flüssig von der Hand gehen würden, es ist noch tiefste Nacht und kühl, aber in knapp 30 Minuten gehts pünktlich um sechs los.
Es knallt, 800 rennen los, es schäumt und ich bin, grundsätzlich schon optisch defizitär, recht orientierungslos. Ein Gewühle bis zur ersten Boje, ich mach mir etwas Platz und komm schön langsam in den Rythmus. Es geht zweimal um einen Dreieckskurs, ab der zweiten Runde gelingt es mir Fahrt aufzunehmen und entsteige nach 1:11 einem künstlichen See, der deutlich mehr als die vom Veranstalter genannten 22,5°C hat. Zarte Morgendämmerung erleichtert mir nun den Weg zum Rad, nach fünf Minuten bin ich auf der Strecke und der Wahnsinn nimmt seinen Lauf. Es geht als erstes gleich mal 500 HM rauf, quasi zum Warmfahren. Hier springen gleich die ersten los als wären sie auf einer OD. Is scho recht, denk ich mir und ich sollte auch Recht behalten. Nach einer rasanten Abfahrt geht es zurück nach Embrun, weitgehend flach am größten Stausee Europas entlang, und siehe da, die ersten Kandidaten kann man schon wieder einsammeln. Um es hier nicht allzusehr auszudehnen, die Radstrecke ist teilweise hügelig, kaum flach, meist steil und ab dem Nachmittag mit einem Gegenwind gesegnet, daß es eine wahre Freude ist. Trotzdem ich alles andere als eine Bergziege bin, kann ich bis zum Col d'Izoard doch einige hinter mir lassen, oben am Paß sehen manche schon recht jämmerlich aus, und es sind noch 90 Kilometer. Danach gehts hinunter nach Briancon, knapp dreißg Kilometer volles Rohr. Und da passiert es. Ausgerechnet hier. In einer Linkskurve rutscht das Vorderrad weg, ich denke "Scheiße, den Sand hab ich nicht gesehen!" und kann die Fuhre wieder abfangen. In der nächsten rutscht mir die Büchse wieder weg, ich versuche gegenzusteuern und - ab in den Graben! Hatte wohl noch irgendwie die Hände an den Bremsen, aber es knallt kurz und von einer Sekunde auf die andere bin ich von gut 30km/h auf 0km/h abgebremst. Da erst entdecke ich den vorderen Platten. Eine kurze Bilanz ergibt einen verdrehten Vorbau und Lenker, ein plattes Vorderrad mit leichtem Seitenschlag und ein verbeulter, aufgeschürfter Fastforward.
Im ersten Moment sah ich das Rennen als gelaufen. Aber dann wechselte ich den Schlauch, fuhr komplett schief noch ein paar Kilometer nach Briancon, lieh mir dort Werkzeug, richtete den ganzen Mist wieder aus und fuhr, mit anfänglicher Bremse im Kopf, weiter. Der Abflug kostete mich eine gute halbe Stunde, gab mir aber die Chance wieder viele, besonders gegen Ende der Strecke, einzusammeln. Mental war ich soweit wieder klar, Treten kein Problem und ich hatte auch sonst keine Anzeichen von Ermüdung oder energetischen Defiziten. Es war heiß, die Sonne brutal und der Gegenwind nicht von schlechten Eltern, als ich erneut in die Wechselzone einbog. Ich freute mich auf die selektive Strecke, Laufschuhe an, Kappe auf, zwei Gels eingesteckt, kurz auf den Lokus und raus auf die Laufrunde. Da zwickte es schon. Ich dachte mir, logisch, die Radkilometer merkst Du halt, das wird schon alles wieder locker werden. Wurds aber nicht. Ich versuchte weitgehend nicht zu humpeln, was aber durch zunehmenden Schmerzen im rechten Knie und der rechten Hüfte schwieriger wurde, und wutentbrannt und zornesrot stieg ich nach drei Kilometern aus. Das war echt hart, denn soweit lief alles echt gut, kurzzeitig war ich den Tränen nah.
Ich bin dann zurück, bin ins Sani-Zelt, hab mich mit Wasserstoffperoxid und Betaisodona-Salbe verarzten lassen und lag fast eine halbe Stunde beim Chiropraktiker auf der Liege und hab mich behandeln lassen. Ich denke das war gut, denn heute konnte ich schon wieder weitgehend locker laufen, die Schürfwunden heilen gut, nur der blaue Fleck auf der rechten Hüfte bleibt wohl noch ein paar Tage.
Objektiv betrachtet hatte ich ein saumäßiges Glück, den Izoard bin ich mit deutlich über siebzig runtergekachelt und es hätte mich auch auf den rauhen Asphalt legen können, da hätte ich mal richtig Tapete gelassen.
Subjektiv gesehen ist es die größte Scheiße, die einem in einem Wettkampf, auf den man sich so vorbereitet hat wie ich, passieren kann. Und ich bin immer noch ein wenig geknickt daß ich nicht finishen konnte, Fuck!
Abschließend möchte ich an dieser Stelle besondere Grüße nach Berlin zu Torsten, alias DragAttack, und seine Freund Sven schicken, die beide finishten und mit denen ich sehr kurzweilige Stunden in Embrun verbrachte.
Zudem stelle ich mir die Frage, ob ich in Zukunft alle Heinis, die den Marathon in Kompressionssocken abwandern verhauen soll und was sie bloß dem diesjährigen Sieger aus Spanien verfüttert haben, der 46 Minuten schwamm, die Radstrecke in knapp unter sechs Stunden fuhr und den Marathon 02:48:XX in lief.
So long,
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