Da wir schließlich das Feuilleton des Triathlon sind, aus dem Feulleton der FAZ:
Kraß, cool, ausgegrenzt Wie der Slang aus Zuwanderervierteln zum Teil der Jugendsprache wurde
Von Otto Kallscheuer
Berlin. "Üsch mach düsch Messer" ist kein korrekter deutscher Satz - und doch inzwischen ein durchaus gebräuchlicher. Kein Deutschlehrer, der ihn hört, wird sich den Hinweis auf seine korrekte Form "Ich mache dich mit dem Messer kalt" verkneifen können. Doch Sprachstümpfe wie dieser werden unter Jugendlichen immer populärer, besonders dort, wo viele Ethnien auf engem Raum zusammenleben - also in den Einwanderervierteln und selbsternannten Ghettos unserer Großstädte.
Was sich dort herausgebildet hat, ist eine neue, jugendspezifische Verkehrssprache, in der sich muttersprachliche und regionale Einflüsse vermischen. Und so treffen deutsche Dialektfragmente wie das Berliner "sch" auf das türkische "ü" bei "ich" und "dich". Die grammatikalische Komplexität wird deutlich reduziert, ebenso die Zahl der verwendeten Wörter. Hinzu kommen lexikalische Übertragungen aus anderen Sprachen, vor allem aus dem Türkischen und Arabischen. Besonders beliebt ist etwa das türkische Wort "lan", das auf deutsch Mann oder Typ heißt. Die Sprache, die dabei herauskommt, haben Soziolinguisten "Multi-Ethnolekte" getauft, während der deutsch-türkische Autor Feridun Zaimoglu sie während seiner Provokationsphase "Kanak Sprak" nannte. Ihren Ursprung hat sie in deutsch-türkischen Stadtvierteln, ihr Generationsprestige als hartes, krasses Kiezdeutsch aber geht längst darüber hinaus. Denn Sätze wie "Ey, hör auf, lan" werden von deutsch- wie türkischstämmiger Jugend gleichermaßen benutzt, auch junge Frauen gebrauchen sie.
Der städtische Slang im ethnisch gemischten Kiez wird unter Jugendlichen zur Lingua franca, zur Verkehrssprache zwischen deutsch-türkischen, deutsch-arabischen und deutsch-deutschen Kids. Und zwar vorrangig derjenigen, die in ihrer ethnisch gemischten Nachbarschaft weder sozial aufsteigen können noch aus ihr herauskommen. Die Kanak Sprak steht also auch für soziale Ausgrenzung und bekräftigt sie aggressiv, gesteigert zum symbolischen Kapital der Härte. Längst ist das Kraßreden der Jugendlichen auch in das Radio- und Rap-Gerede der Multikulti-Folklore eingeflossen und Teil der Popkultur geworden, sagt die Berliner Linguistin Heike Wiese.
Deutschland ist mit seiner migrationsbeeinflußten Jugendsprache kein Einzelfall. Seit Anfang der neunziger Jahre entstehen solche Slangs in fast allen europäischen Großstädten mit hoher Einwandererquote. Parallelen zwischen den europäischen Ethnolekten sind leicht zu finden. Pia Quist von der Universität Kopenhagen stellte in bezug auf dänische Ethnolekte fest, daß weniger eine neue Sprache, sondern vor allem eine neue stilistische Ressource für soziale und kulturelle Unterscheidungen entstehe - eine Beobachtung, die sich nahtlos auf Deutschland übertragen läßt. Doch darüber, was als besonders tough und lässig gilt, scheiden sich in Europa die Geister: In den Niederlanden, wo viele Migranten aus Marokkko kommen, gelten marokkanische Ausdrücke als besonders cool, türkische hingegen als zahm. In Deutschland, wo die meisten Migranten aus der Türkei stammen, verhält es sich umgekehrt.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 20.08.2006, Nr. 33 / Seite 12
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