Am späten Freitag Nachmittag traf ich in Biel ein. Ich war dann erst mal beschäftigt mit dem Auffinden der Eissporthalle und meiner Unterkunft, Mike hatte auch noch ein paar Dinge zu erledigen. So verabredeten wir uns für 21 Uhr im Startbereich. Das Erkennen klappte prima, obwohl wir uns noch nie gesehen hatten.
Mike war dann offensichtlich noch unsicher, ob er laufen oder gehen wollte. Meinte, er wolle noch was essen, was für´s Laufen zu der Zeit sicher nicht optimal war. Wir trennten uns dann erst mal wieder und als die Läufer in den Startbereich gerufen wurden, stand ich erst mal alleine da.
Der französische Sprecher redete schnell und hektisch. Ich verstand fast nichts davon, es interessierte mich auch nicht besonders, aber es erinnerte mich an die Übertragungen der Tour de France. Den Schweizer Sprecher verstand ich auch nicht, aber er verbreitete eher Langeweile.
Ich schaute mich um, war doch teilweise sehr erstaunt, wie viel Gepäck manche freiwillig mitnahmen, richtig große schwere Rucksäcke... Besonders interessant fand ich die Soldaten in voller Uniform, die Schweizer sogar mit Waffe! Dann begann der Countdown, Startschuss und langsam ging´s los. “Die Nacht der Nächte“, und ich war dabei, ich lief in Biel!
Nach ungefähr 1 km lief Mike zu mir auf und von da an liefen wir erst mal lange gemeinsam. Wir “eichten“ uns auf einen angenehmen, lockeren 6:30er-Schnitt. Ca bei KM 7 (bei Port) kam die erste längere Steigung. Hier gingen bereits sehr viele, vielleicht waren die klüger als ich. Ich hatte jedenfalls keine Lust dazu und so trabten wir locker den Hügel hoch. Es fühlte sich gut an und machte Spaß und ich war sehr zuversichtlich. Wir liefen wie ein Uhrwerk, alle 5 km nahm ich die Zwischenzeiten, sie lagen immer bei 33:xx Minuten. Das Tempo passte, wir mussten es “nur“ halten... Wir genossen die Stimmung in Biel und die Volksfeststimmung in den Dörfern. Aarberg ist sehr schön und ich liebe einfach diese wunderschönen alten Holzbrücken, die es in der Schweiz oder im süddeutschen Raum gibt. Genauso oder sogar noch mehr genoss ich allerdings die Stille und die Ruhe außerhalb. Es war eine schöne Sommernacht, Vollmond, überall duftete es nach frischem Heu, die Grillen zirpten, es war (mir) nur ein paar Grad zu kalt bzw. ich war etwas zu dünn angezogen. Eigentlich war es aber perfektes Laufwetter!
Leider bekam ich schon bei km 15 leichte muskuläre Probleme. Links in der Wade und rechts im der hinteren Oberschenkelmuskel, es fühlte sich an wie bevorstehende Krämpfe. Interessanterweise wechselten sich Phasen, in denen sich alles gut anfühlte und ich den Eindruck hatte, ewig weiterlaufen zu können, mit den “schlechten“ Phasen ab. Irgendwann waren diese Problemchen gänzlich verschwunden, dafür stellten sich andere ein. Bei KM 45 musste Mike dann leider aussteigen. Das ständige Auf und Ab stellte sich als zu belastend für sein verletztes Knie heraus. Ab hier lief ich dann alleine weiter.
Morgens gegen halb 5 erreichte ich den legendären Ho-Tschi-Minh-Pfad. Es dämmerte bereits und die Vögel zwitscherten, was das Zeug hielt. Im Wald allerdings war es noch stockfinster und ohne Licht wäre es nicht gegangen. Der Weg ist sehr schön, allerdings steinig und verwurzelt und mit rund 60 km in den Beinen mühsam zu laufen. Trotzdem fand ich das sehr amüsant, wie wir da mit unseren Lämpchen und leichtem Gepäck im Gänsemarsch über den Emmendamm hoppelten, da kam schon ein bisschen Partisanenromantik auf:
“Eines Morgens, in aller Frühe,
o bella ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao,
eines Morgens, in aller Frühe
trafen wir auf unser’n Feind.
Partisanen, kommt, nehmt mich mit euch,
o bella ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao,
Partisanen, kommt, nehmt mich mit euch,
denn ich fühl’, der Tod ist nah.“
Naja, so dramatisch war es natürlich nicht.
Ein Teil des Weges scheint irgendwie “saniert“ worden zu sein. Jedenfalls schien der Damm neu aufgeschüttet und die Oberfläche war zementiert. Ich hoffe, dass das nur eine Reparatur des Dammes war und nicht, dass der ganze Weg so gestaltet werden soll. Aber angenehmer zu laufen war es immerhin.
Irgendwann, ich glaube so etwa bei KM 65, hatte ich ein wirkliches echtes Tief, das ich so noch nie erlebt hatte. Ich wollte nicht mehr und es war noch so weit... “At all costs, keep moving forward“, hatte ich mal auf irgendeiner amerikanischen Ultraläuferseite gelesen. Also schloss ich kleine unwürdige Handel mit mir ab: “Wir gehen 2 Minuten, dafür laufen wir aber auch wieder 8 Minuten.“ Meine Güte, können Minuten sich hinziehen! Zumindest, wenn man laufen soll und nicht mehr will und gleichzeitig noch alle halbe Minute auf die Uhr schaut...
Aber es funktionierte. Es dauerte etwa eine Stunde, dann ging es mir allmählich besser und die Laufanteile wurden wieder länger. Interessante Erfahrung, die ich so vorher noch bei keinem Lauf gemacht hatte.
Bibern, letzte Wechselstation für die Staffeln, letzter “großer Bahnhof“. Gleich hinter Bibern geht es ordentlich bergauf, allgemeines Wandern war wieder angesagt. Ob wir noch ein Zeitziel hätten, fragte eine Frau. “Ich will zumindest noch unter 12h bleiben.“, antwortete ich; mein ursprüngliches Zeitziel hätte ich schon lange aufgegeben. Ihm wäre es egal, meinte ein Läufer neben mir. Dafür müsste er sich zu sehr verausgaben, könnte dann wieder wochenlang nicht trainieren.... Letzteres wiederum wäre mir egal, antwortete ich. Die Steigung wurde flacher und ich fing wieder an zu laufen, er ging noch ein Stück. Im Ziel sind haben wir uns nochmal kurz getroffen. Er bedankte sich bei mir und meinte, unser kurzes Gespräch hätte ihm nochmal Motivation gegeben, sich reinzuhängen. Tatsächlich war er sogar noch ein paar Minuten vor mir im Ziel.
Von den letzten 20 km gibt es nicht mehr viel zu berichten. Es wurde heiß, langweilig, anstrengend. Naja, langweilig stimmt eigentlich gar nicht, aber ich empfand es so. Morgens an der Aare entlang zu laufen war noch schön, Büren ist ein netter Ort mit einer weiteren schönen Holzbrücke.
Ursprünglich wollte ich unter 11h laufen, mein B-Ziel war sub12 und ich war richtig froh, dieses Ziel zu haben. Es motivierte und disziplinierte mich.
Nach 11:53h war ich dann endlich im Ziel. Eine kurze Glücksminute, aber hauptsächlich war ich froh, dass es vorbei war.
Den Rest des Samstags verbrachte ich hauptsächlich liegend und schlafend. Nachmittags fuhr ich nochmal für eine Stunde zum Zielbereich und schaute mir die späten Finisher an mit Zielzeiten um 19-20 Stunden. Abends habe ich in der Nähe meiner Unterkunft mit ein paar anderen Läufern noch ein bisschen Fußball geschaut, ein paar Bier getrunken und bin zeitig schlafen gegangen.
Sonntags ging es mir bereits sehr viel besser. Es tat schon fast nichts mehr weh. Die Heimfahrt verlief sehr entspannt und ich war bester Laune. Samstags war ich noch etwas enttäuscht gewesen, weil ich mein eigentliches Zeitziel doch deutlich verfehlt hatte. Mittlerweile ist mir das ganz egal. Ich freue mich über meine sub12 und dass ich im Großen und Ganzen recht gut durchgekommen bin!
Inzwischen sind ein paar Tage vergangen und mit jedem Tag Abstand bin ich begeisterter von diesem Lauf.
Ich bin ganz sicher, dass ich wieder da laufen werde! Vielleicht nicht nächstes Jahr, aber wer weiß?
Helden vor dem Start[URL=http://www.emu5.de/user/wehaka/berichte/biel_06/Morgens.jpg]
Morgens früh[/URL]
An der Aare entlang
Blick auf Büren
Fast geschafft