Nach knapp 4h Schlaf wachte ich auf, weil ich dringend pinkeln musste. Es war immer noch stockfinster und dazu noch erheblich kühler als vorher. Ich beschloss so gut wie alles anzuziehen was ich dabeihatte, also erst mal Armlinge und Beinlinge, das noch unbenutzte kurze Trikot und die kurze Radhose, darüber das noch leicht feuchte Langarmtrikot, die vollständig getrocknete Windweste und die feuchte Regenjacke. Dazu noch die Überschuhe, je ein Buff-Tuch für Kopf und Hals. Einen Teil meines Proviants lud ich gleich von der Packtasche in die Trikottaschen um. Nun noch die Isomatte zusammenrollen, Schlafsack eintüten und alles wieder am Rad befestigen. In meinem tranigen Zustand hab ich über eine halbe Stunde dafür gebraucht. Endlich los fahren es ist dunkel und kalt, aber bald beginnt es zu dämmern und kalt ist mir auch nicht mehr denn ich bin mitten im längsten Anstieg der Tour. 13% Steil und schier endlos. Ich wünsch mir meinen Carbonrenner her, halbes Gewicht und ein 3. Kettenblatt. Der Winterrenner hat nur Zwei, dafür das Große Pizzablech hinten, 39/34 sollten eigentlich reichen, aber wenn man schon 350km in den Beinen hat wäre eine Untersetzung angenehmer. Als es dann geschafft ist fühle ich mich wieder richtig gut, aber nicht lange. Bergab ist es eisig kalt und ich hab zunehmend Orientierungsproblem. Alle paar Kilometer konsultiere ich die Karte. Wenigstens ist es jetzt einigermaßen hell. Kurz vor Bad Tölz kommt dann auch noch Nebel auf, es wird noch kälter. An der Tankstelle stehen einige zelte mit Feldbetten, aber es ist viel zu kalt um dort in feuchten Klamotten und ohne Schlafsack länger zeit liegen zu bleiben. Und so fahren die meisten anderen ohne Schlaf weiter. Durch meine lange Schlafpause bin ich nun im hinteren Feld, beim abstempeln an der Tankstelle treffe ich noch 2 Kollegen die gerade dort Frühstücken. Sie haben mich schon beim zusammenpacken an meinem Schlafplatz im vorbeifahren gesehen und wollen, daß ich mit ihnen weiter fahre. Ich will aber erst mal richtig Frühstücken und such mir eine Bäckerei. Nach einem großen Kaffee, einer Breze und einem Nusshörnchen lasse ich mir noch die Trinkflaschen füllen, mixe meine Restbestände Malto und Iso dazu und fahre weiter. Es läuft gar nicht gut, ich finde keinen Rhythmus, immer wieder sinkt meine Trittfrequenz Richtung 70. in dem Steilen Anstieg hab ich mir wohl die Beine sauer gefahren. Ich bin überrascht und froh als mich die beiden Kollegen von der Tankstelle einholen. Sie haben sich in Bad Tölz verfahren und verfolgen mich schon eine Weile. Im Windschatten kann ich mich durch eine entsprechende Gangwahl zu einer höheren Trittfrequenz zwingen und bald läuft es wieder etwas besser. Trotzdem läuft die Gruppe nicht gut, wenn ich vorne fahr kann ich das Tempo nicht gleichmäßig halten, immer wieder breche ich ein. Einer der beiden anderen kann kaum Führungsarbeit leisten und auch der andere fährt keinen gleichmäßigen Rhythmus. Die Strecke ist sehr wellig, so was stört mich sonst eigentlich nicht, im Moment wäre mir aber wohl keine Strecke der Welt recht. Zumindest das Wetter ist gut, einige Wolken aber es wird zunehmend warm und sonnig. Der Weg bis Landsberg ist weit, eigentlich wollte ich bis dahin durch fahren, aber als dann nach 50km auch noch meine Trinkflaschen leer sind beschließe ich am nächsten Supermarkt zu halten. In Wessobrunn sollte eigentlich einen geben ich finde aber nichts, stattdessen steht eine Gruppe von Randonneuren vor einem Bäcker, meine zwei Begleiter halten auch, ich fahre weiter nach Rott und kaufe im Dortigen Edeka je einen Liter Wasser und Traubensaft, sowie 4 Bananen und ein Twix. Das Wasser und die hälfte vom Traubensaft kommt in die Trinkflaschen, der Rest vom Traubensaft in die nun wieder prall gefüllte Gepäcktasche. Ich fahre allein weiter, genieße die Sonne, esse und trinke reichlich und treffe die anderen an der 7. Kontrolle in Landsberg wieder. Ich besuche ausgiebig die Toilette und ziehe mich um. Überschuhe, Regenjacke und Langarm Trikot haben ausgedient, die Gepäcktasche wird Randvoll, das feuchte zerknüllte zeug nimmt irgendwie mehr platz weg als ursprünglich. Dafür wandert der Rest des Traubensafts zusammen mit reichlich Leitungswasser in die Trinkflasche. Einer meiner Begleiter drängt zum Aufbruch, ich lasse ihn zusammen mit einem Tandem fahren. Der weg aus Landsberg heraus erscheint mir knifflich, da wäre er bestimmt keine Hilfe gewesen. Lieber warte ich bis Beezle, ein Ortskundiger zusammen mit den übrigen wenig später los fährt. Eine weise Entscheidung, denn 10km später werden wir von den früher aufgebrochenen eingeholt. Die Gruppe läuft nicht besonders gut, Führungsarbeit leistet vorwiegend ein Mann der eine Begleiterin im Schlepptau hat. Viele der Fahrer wirken übermüdet und können sich nur mit Mühe konzentrieren. Ich beschließe mich in der Gruppe zu erholen und reichlich zu essen, Gummibärchen, Twix, Bananen und Powerbar. Auf der strecke ist viel verkehr, einige Autos hupen wenn sie unseren chaotischen Haufen überholen. Es wird immer wärmer, ich ziehe Armlinge und Beinlinge nach unten, die Strecke erscheint endlos, flach und monoton. Meine Beine schmerzen, besonders das linke Knie. Endlich eine Steigung, 12% ich fahr sie komplett im Wiegetritt, oben bin ich ein gutes Stück vor den anderen, schnell ziehe ich die Beinlinge aus und verstaue sie in der Packtasche. Die anderen sind inzwischen etwa 500m enteilt, ich fahre hinterher, hole sie schnell ein. Ein echtes „Hallo Wach“ Erlebnis, meinem Körper geht es eigentlich viel besser als gedacht und nur der Kopf ist träge. Ich erhole mich noch etwas im Windschatten dann hat der Mann des Pärchens keine Lust mehr alleine die Führungsarbeit zu machen, nimmt die Beine Hoch und winkt seinen Hintermann nach vorne, der mag aber nicht und so fahre ich vor. Das Pärchen fährt direkt hinter mir, nicht sehr Kosequent wenn man wirklich abwechseln will. Nach kaum einem Kilometer kommt eine winzige Steigung, ich trete sie durch, mein Hintermann lässt abreißen. Soll ich raus nehmen? Ich hab keine Lust, fahre alleine weiter. Kurz vor der 8. Kontrolle in Wertingen holt mich eine andere Gruppe ein. Sie fährt deutlich schneller und in geordneter Zweierreihe. Ich ordne mich ein und komme sofort mit Ody ins Gespräch. Wir setzen uns dann zusammen an der Tankstelle an einen Tisch, ich kaufe 1,5 Liter Cola und eine Breze. Einen halben Liter trinke ich gleich hier, der Rest kommt mit Wasser verdünnt in die Trinkflasche. Die Gruppe in der ich vorher gefahren bin tröpfelt Stück für Stück einzeln oder zu zweit ein, hab ich die auseinander gefahren?
Es sind noch 70km bis ins Ziel, eine anspruchsvolle Strecke mit einigen steilen Steigungen, vor der manche etwas angst haben, ich freu mich drauf und fahre nach 15 Minuten Pause alleine weiter. Ich bin eh nicht mehr Gruppentauglich, wie die meisten anderen auch. Statt der Hügel kommt erst mal eine schier endloses Flachstück bis zur Donau auf viel befahrenen Bundesstraßen. Nach 25km bin ich mental am Ende, setz mich in die Wiese und esse Kekse mit Cola. Beezle und Ody fahren vorbei und fragen ob es mir gut geht. Na ja, eigentlich schon aber die Strecke kotzt mich an. Ich suche im Streckenplan nach Alternativen, die gibt es aber nur wenn man die Donau schwimmender weise überquert. Dann kommen noch 2 Randonneure vorbei, sie sind sich unsicher was den Weg betrifft. Da ich seit 10 Minuten den Streckenplan studiere kenne ich mich aus, steige wieder auf und zeige ihnen den Weg. So kommen ich dann doch noch nach Marxheim und über die Donau. Hier folgt gleich ein längerer Anstieg an dem mir die beiden nicht folgen können. Dafür werde ich von 2 anderen Eingeholt, wir unterhalten uns etwas fahren zusammen, dann wieder etwas weiter auseinander. Einer der beiden fährt sehr vorsichtig Bergab, ist aber Bergauf sehr stark. Es macht mir Spaß meine Kräfte an den Teils recht steilen Stichen mit ihm zu messen, erstaunlich was die Beine nach über 600km noch hergeben. Schließlich muß ich sie aber doch ziehen lassen, sie sind bergauf stärker als ich, machen dann aber noch mal Pause und verfahren sich schließlich 5km vor dem Ziel. Die Hügel werden nun immer länger und steiler, aber 20km vor dem Ziel bin ich in absoluter Hochstimmung. Es ist kurz nach 18 Uhr und ich werde gegen 19 Uhr im Ziel sein, wie geplant. Über 600km und noch Kraft in den Beinen, Hintern und rücken sind auch OK, bin ich Superman? Unangenehm wird es nur noch einmal auf der Abfahrt nach Pappenheim, in dem stark bewaldeten Nordhang ist es sehr kühl und ich bin vom vorherigen Anstieg ordentlich durchgeschwitzt. Energiereserven zur Wärmeerzeugung sind wohl auch kaum noch vorhanden, jedenfalls wird mir eiskalt und ich beginne zu zittern. Die durchfahrt durch Pappenheim kommt mir dann auch schier endlos vor, aber wenigstens ist es hier wieder warm, ich trinke die Reste der Cola, stopfe Kekse und Gummibären in mich rein. So viel wie heute hab ich noch nie gegessen, Aber es hilft, endlich kommt der Anstieg, 11% auf 800m, weiter oben sehe ich 2 schieben, es sind Ody und Beezle. Die schnapp ich mir, im Wiegetritt geht es hinauf, das macht Spaß, die beiden sind schon im Flachstück steigen wieder auf, als ich dort bin schalt ich obwohl es weiter leicht bergauf geht aufs Große Blatt und sprinte vorbei. Wie bescheurt muß man sein um nach 640km noch mal voll Gas zu geben? Egal, auch das es in Osterdorf noch mal etwas steiler wird, ich bin im Ziel und weit weniger ausgelaugt als nach dem 300er.
Wie geht´s jetzt weiter? Also Paris-Brest-Paris fahr ich nicht, obwohl ich ja jetzt qualifiziert bin, da kommt aber gerade mein Töchterchen zur Welt. Im Herbst werd ich erst mal meine Schwimmkünste verbessern und im Winter etwas häufiger laufen, aber in 4, 8, 12 oder 16 Jahren wäre eine Reise nach Paris schon mal drin