So, dann möchte ich noch von meinen Erlebnissen am Jungrau Marathon berichten:
Etwa 1.5 Std. vor dem Marathon beginnt es zu regnen. Ich bin darüber etwas erstaunt, denn die Prognosen sind gut für den Tag. Das stört mich nicht gross, denn ob ich wegen dem Regen oder durch Schweiss nass werde, spielt mir eigentlich nicht eine so grosse Rolle. Kurz vor dem Start hört der Regen auch wieder auf. Dafür ist es sehr schwül. Am Start stelle ich mich weit nach hinten, denn so werde ich nicht so fest verleitet, das Rennen zu schnell anzugehen, und Dank der Chip-Zeitmessung verliert man ja nichts, wenn man hinten ansteht. Meine Taktik ist, das Rennen ruhig anzugehen, damit ich noch etwas Energie für vielen Höhenmeter im zweiten Streckenteil übrig habe. Die ersten vier km geht es durch Interlaken und ich laufe fast auf die Sekunde im geplanten Tempo. Doch ich bin wegen der hohen Luftfeuchtigkeit schon patschnass vor lauter Schwitzen und der Puls ist für das Tempo viel zu hoch. Also beschliesse ich etwas mehr Tempo rauszunehmen, denn der Tag ist ja noch lange. Nach Interlaken machen wir einen kleinen Umweg an den Brienzersee, der geheimnisvoll grünblau schimmert, danach geht es dann in Richtung der Berge. Das Tal wird schnell enger und plötzlich türmen sich links und rechts steile Abhänge mit Felswänden auf.
Wenn man das Höhenprofil betrachtet, sieht es aus, als wären die ersten 25 km flach, doch wenn man genauer hinsieht, verstecken sich von km 10 bis km 20 doch noch über 300 Höhenmeter. Keine steilen Anstiege zwar, doch man merkt deutlich, das es bergauf geht. Schon überhole ich die ersten "Walker" und denke mir, wenn die jetzt schon gehen, was machen die wohl, wenn es wirklich steil wird?
In Lauterbrunnen herrscht tolle Stimmung, auch meine Frau feuert mich an und läuft ein paar Schritte mit. Die Sonne gewinnt immer mehr die Überhand und trocknet die Luft ab. Das Panorama ist beeindruckend: Links und rechts ragen Felswände mehrere hundert Meter senkrecht in die Höhe und weiter vorne stürzt ein Wasserfall (Staubbachfall) von den Felsen in die Tiefe. Dort ist auch die Halbmarathon-Marke. Ich fühle mich noch frisch, kein Wunder, denn meine Uhr zeigt 2:13:00 an, dies ist sogar für mich trotz den 300 HM eine gemütliche Zeit :-). Nach einer Schleife entlang des Flusses kommt man nach Lauterbrunnen zurück. Nochmals ein paar aufmunternde Worte von meiner Frau, dann bei km 25.4 beginnt die Steigung. Zuerst ganz sanft, doch schon bald ist der Weg nicht mehr unter den Füssen sondern fast im Gesicht. Es folgen zwei km mit über 20% durchschnittlicher Steigung. Meine Taktik ist, den Puls etwa so zu halten, wie ich ihn in der Ebene hatte. Niemand rennt mehr, doch auch Gehen kann man bekanntlich mit verschiedenen Geschwindigkeiten. Zum Glück ist der Weg noch schön breit, so kann ich bequem überholen. Es artet schon fast im Slalom um menschliche Torstangen aus, doch es macht Spass, so viele zu überholen. Nur selten werde ich stehen gelassen. Was ich auch noch angenehm finde: Ab km 25 hat es alle 250m eine km-Info-Tafel. Weiter oben wird es wieder etwas weniger steil. Nun werden viele Power-Walker wieder zu Läufern (mich eingeschlossen). Das schützende Walddach lichtet sich. Ohne den Schatten spürt man die Hitze der Sonne schon deutlich. Doch es gibt auch schon schöne Aussichten ins Tal hinunter.
In Wengen werden wir wieder von vielen Zuschauern empfangen. Am Anfang des Dorfes, bei km 30.1 kommt die zweite Zwischenzeit. 270 Plätze habe ich gut gemacht, wie sich später rausstellen wird. Es folgen ein paar flache Meter, die auf meine Muskeln entspannend wirken. Am Bahnhof sehe ich gerade wie meine Frau aus dem Zug steigt. Hehe, war ich sogar schneller als sie mit der Bahn. Ich winke ihr zu, und stelle mich an den Rand. Für 15 sec. bin ich der Zuschauer und sie die Läuferin. Kurzer Wortwechsel und weiter geht's. Auch in Wengen machen wir eine Schleife und 10 Min. später sehe ich sie bereits wieder am Wegrand stehen. Der Weg wird wieder steiler, so werde ich zeitweise zum Power-Walker, doch ich bin in guter Gesellschaft, denn den anderen geht es nicht besser. Sobald es die Steigung zulässt wird aber wieder gelaufen. Noch immer überhole ich diverse Leute, doch es sind nicht mehr so viele wie im Steilstück am Anfang. So geht es km für km voran. Zeitweise kann man auf Lauterbrunnen hinunter schauen, das unterdessen ganz klein und unscheinbar im Tal unten liegt.
Inzwischen hat es alle 1.5-2km einen Sanitätsposten, wo man sich auch massieren lassen kann. Schon 100m vorher riecht es so stark nach Dul-X, dass einem fast schwindelig wird. Meistens sind alle Sitzplätze besetzt mit Gestalten, die gar nicht mehr fit aussehen. An den Sanitätsposten wird ausserdem noch Wasser angeboten, von dem ich bei dem warmen Wetter gerne in und über mich schütte. Alle knapp 3 km gibt auch noch "normale" Verpflegungsposten, an denen es neben dem üblichen Angebot auch noch Bouillon und Birnbrot gibt. Eine willkommene Abwechslung zu den süssen Energybars.
Immer öfters wird der Blick frei auf die imposanten Berge Eiger, Mönch und Jungfrau. Diese weissen Berge mit dem tiefblauen Himmel, der Sonnenschein und die grünen Wiesen, einfach herrlich! Nicht umsonst bleibt ab und zu ein Läufer stehen, packt seinen Fotoapparat aus und schiesst ein paar Bilder. Etwa beim km 38.5 wird dann die Naturstrasse zum Singletrail. Zuerst ist das noch kein Problem, denn man kann überholen, in dem man auf der Wiese rennt. Diese ist zwar sehr holperig, doch wenn man schaut wo man hintritt geht das schon. Dann kommt aber wieder ein Steilstück, dort kann man nicht mehr überholen und prompt kommt die Einerkolonne ins Stocken, manchmal muss ich sogar stehen bleiben. Ein paar Entnervte drängeln sich vor, stolpern den Wartenden über die Füsse und provozieren damit prompt ein paar Flüche der Überholten.
Auf den nächsten 1.5 km sind nochmals über 350 Höhenmeter angesagt. Wir bewegen uns auf einem Geländekamm und vor uns reihen sich die Läufer wie eine Perlenkette auf. Auf einem Plateau treffen wir auf 8-10 Alphornbläser und einige Fahnenschwinger. Obschon ich sonst gar nicht der Volksmusik-Fan bin, treiben mir die ruhigen Alphornklänge einen kalten Schauer über den Rücken. Sie passen hervorragend in diese Gegend. Ab und zu kann man nun überholen, indem man neben dem Weg über die Felsen steigt. Das fährt aber gehörig in die müden Beine, da es teilweise Stufen von 50 cm und mehr zu überwinden gilt. Doch so störe ich wenigstens die Perlenkette nicht. Weiter oben wird es dann wieder eng, für km 40.0 bis 40.5 brauche ich wegen den Staus volle 14 Minuten *grummel*. Wir sind schon recht nah am Fusse der Eigernordwand. Wie klein man sich doch fühlt, wenn man an dieser 1.6 km hohen und fast senkrechten Wand hinauf schaut.
Beim km 41 ist dann endlich der höchste Punkt (2200m) erreicht. Von dort geht es ins Ziel hinunter, das auf 2100m liegt. "Ausgeruht" von den langsamen Passagen gebe ich nochmals richtig Gas. Der Weg ist wieder breiter, aber noch immer sehr rauh und voller Löcher und grossen Steinen. So überhole ich auf diesem letzten km sicher noch über 40 Leute und fliege fast ins Ziel. Mit 5:38:07 bin ich zwar nicht ganz zufrieden, denn ohne Staus hätte ich noch einige Minuten einsparen können. Doch was zählt schon die Zeit, wenn man die Natur so hautnah erleben darf und bei meiner Zeit kommt es auf ein paar Minuten mehr oder weniger auch nicht mehr an. Immerhin konnte ich seit der zweiten Zwischenzeit noch fast 300 Ränge gutmachen.
Der Zielbereich ist gut organisiert, ich erhalte sofort die Medaille, eine Pet-Flasche mit Iso-Getränk und eine Plastikdecke. Die Plastikdecken sind aber nicht so der Renner, denn die Sonne scheint in vollen Zügen und es ist weit über 20°C. Doch es gab auch schon Jahre, in denen man im wilden Schneetreiben hier oben ankam. Etwas weiter hinten hat es auch noch ein grosses Duschzelt, in dem es viele warme Duschen gibt. Nach der Dusche geht es in Richtung des Berg-Restaurants, wo wir auf der Terrasse an der Sonne das verdiente Finisher-Bier geniessen (meine Frau trinkt das verdiente Supporter-Bier). Dann geht es zur Zahnradbahn, die uns wieder ins Tal bringen soll. Leider ist diese völlig überlastet, und es gibt nur noch Stehplätze für uns. War etwas beschwerlich mit den müden Beinen eine Stunde lang in der Bahn zu stehen und die ausgeruhten Zuschauer auf den Bänken zu beobachten. Doch die dachten sich wohl, wenn der den Berg hinaufrennen kann, dann wird er wohl auch noch ein wenig stehen können.
Zusammenfassend hat mir dieser Lauf sehr gut gefallen. Das Naturerlebnis ist wirklich beeindruckend, die Helfer sind sehr freundlich und mit vollem Herz bei der Sache. Klar, die Staus am Ende hätte ich nicht gebraucht, doch was soll's. Auch für die Zuschauer wird gesorgt, mit der vergünstigten Tageskarten können sie Dank der Zahnradbahn die Läufer "begleiten" und an diversen Orten wieder sehen (falls der Läufer nicht zu schnell ist *g*). Doch wer stets gerne von Zuschauern angefeuert wird, der sei gewarnt: Es gibt viele Abschnitte (ich schätze ca. 70-80%), in denen man ohne Zuschauer unterwegs ist.
Link zur Veranstaltung:
http://www.jungfrau-marathon.ch
Die Streckendaten: 42.195 km Länge / 1829 m Steigung / 305 m Gefälle
Thomas