Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat geschrieben:
Erotisch anregungsarm
VON PETER LÜCKEMEIER
Eigentlich würden wir ja schrecklich gern mal so richtig harten Enthüllungsjournalismus betreiben, also zum Beispiel eiskalt veröffentlichen, daß Sabine Christiansen (61) von ihren Gästen künftig einen Hofknicks fordern will, oder Angela Merkels Modeberater als heimliches SPD-Mitglied bloßstellen, aber es gibt Wichtigeres, zum Beispiel Frau Merkels zutiefst empfundene Abneigung gegen das Aufdonnern. Von Frau im Spiegel gefragt: "Wie motivieren Sie sich im größten Streß?", antwortet sie nämlich: "Dann träume ich davon, in bequeme Kleidung zu schlüpfen, durch den Garten zu laufen und zu schauen, ob mein Gemüse reift." Doch. Paßt.
Das Interesse am Gemüse teilt Frau Merkel mit vielen Männern, die aber vordringlich junges Gemüse meinen. Wir persönlich sind da erstens sittlich enorm gefestigt, und zweitens besteht bei sehr jungen Damen natürlich immer das Plapperrisiko. Wie jüngst hier in Frankfurt, wo wir in einer Sushi-Bar die blonde Sabrina (19) kennenlernten, die wirklich so was von super aussah, daß wir sie gleich mit unserem neuen Foto-Handy 69mal ablichteten. Doch im Laufe des Gesprächs sagte sie in einer Wahnsinnsgeschwindigkeit Sachen wie: "Manchmal hätte ich ja schon so Lust, keine Ahnung, äh, so Bücher zu lesen, so, keine Ahnung, Romane oder so was, weiß auch nicht, oder wie heißt das, keine Ahnung, was sich so reimt, so, keine Ahnung, Gedichte? Und du arbeitest also bei 'ner, keine Ahnung, Zeitung oder Zeitschrift? Wo man immer so, keine Ahnung, diese äh, Artikel schreiben muß, ist das nicht voll retro?" Von Gähnattacken geschüttelt, schweiften unter ihrem Geplapper unsere Gedanken ab und landeten bei Mario Adorf.
Er hat in Bild seine Untreue mit den Worten verteidigt: Untreue "hat nichts mit Gefühl, sondern eher mit einer körperlichen Begierde zu tun". Im übrigen ist Adorf ein ganz Raffinierter. Wie nämlich definiert er Treue? "Treu sein heißt, daß man auf einen Menschen zählen kann, daß man sich selber erst einmal treu ist." Ah ja, schon verstanden: Treu ist man, wenn man sich darin treu bleibt, untreu zu sein.
Das dürfte auch Stefan Mross (29) gefallen. Falls Sie ihn nicht kennen: Er bläst Trompete und ist der männliche Teil des "Traumpaars der Volksmusik", die andere Hälfte heißt Stefanie Hertel. Ihre Aufgabe ist das Singen und Lächeln. Wenn Sie aber jetzt denken, in der Volksmusik wird nur ein bißchen geblasen und gesungen und munter umeinandergetanzt, so irren Sie. Die weiblichen Fans des Trompeters Mross "werfen sich ihm geradezu an den Hals", stellt Das Neue Blatt kopfschüttelnd fest. Oft klopfen diese weiblichen Fans abends an seine Hoteltür, und Stefan Mross öffnet den wildfremden, von der Volksmusik aufgepeitschten lüsternen Mädchen und sagt in Das Neue Blatt verschmitzt lächelnd: "Es könnte ja der Zimmerservice sein." Sollten Sie, liebe Herren Leser, die Sie jenseits der Volksmusik in einem erotisch anregungsarmen Umfeld leben, jetzt ein bißchen neidisch werden, so lernen Sie halt das Trompeteblasen, dann klappt's vielleicht auch mit den Mädels. Und ein bißchen Neid ist ja noch gar nichts gegen die Ängste, die derzeit Brigitte H. (59) aus Scharbeutz auszuhalten hat. Sie schreibt an Das Neue Blatt, ihr Brieffreund (68) möchte sie jetzt persönlich kennenlernen, was sie zwar ganz gut, aber auch ein bißchen zum Fürchten finde: "Ich bin recht pummelig." Ach, möchten wir Brigitte H. (59) zurufen, das ist doch gar nicht schlimm. Auch Joseph Fischer (68) ist ja recht pummelig, hat es aber dennoch zu wunderschön retuschierten Wahlplakaten gebracht.
Aber ist dies der Ort, über Politik zu reden? Wir wollen lieber noch einmal auf die immer triebhafter werdenden alten Damen zu sprechen kommen. Diesmal meldet sich in Neue Welt die Schauspielerin Margot Hielscher zu Wort. Sie ist immerhin 85, macht sich aber noch viele Hintern-Gedanken. Seit ihr Vater einst geäußert habe: "In einem Hintern kann mehr Charakter stecken als in einem Kopf", hat Frau Hielscher in ihrem Leben "mehr auf den Po als auf Köpfe geschaut". Und dann sagt die Fünfundachtzigjährige: "Weil ich den passenden Charakter-Po noch nicht gefunden habe, bin ich noch Single." Das tut uns leid für Frau Hielscher, doch das Schicksal der Sigrun J. (53) aus Bonn streifte unser Herz wie ein kaltes Messer. Sie wurde, wie sie Neue Welt verrät, von ihrem Mann verlassen, was schlimm genug ist. Doch jetzt traf sie ihn mit der Neuen. Seither geht es ihr dreckig, denn: "Ich verstehe nicht, was er an ihr findet. Sie sieht viel älter aus als ich, ist kleiner und dicker."
Schlimm, wirklich furchtbar. Da geht es uns doch besser mit unserer süßen neuen Redaktionsassistentin Katrin aus Paderborn - so frisch und schlank und lustig. Sie steht gerade im Türrahmen und winkt. Doch wir bleiben stark und sagen mit Franz Beckenbauer im stern: "Ziel des Menschen ist es ja, anständig zu werden."
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 11.09.2005, Nr. 36 / Seite 72
Muus noch jemand von Euch morgen wieder in einer erotisch anregungsarmen Umgebung arbeiten?
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