BET-Blog hat geschrieben:
Nun sag, wie hast Du's mit der Religion?
Diese Frage ist wohl für niemanden leicht zu beantworten. Selbst der Gelehrte Faust aus Goethes Werk tut sich damit schwer. Wie kann sich also ein einfacher Mensch, der nicht mit dem Teufel im Bunde steht, darüber klar werden? Je mehr Antworten man seinem Verstand und Herzen abringt, desto mehr Fragen tun sich auf. Je tiefer man in den Wald schreitet, desto dichter wird er eben.
Zwar bin ich konfirmiert, doch war ich seitdem kaum noch in der Kirche. Selbst an Weihnachten bin ich kein Gast im Hause des Herrn mehr, denn vor zwei Jahren war die Kirche bereits voll und der Pfarrer schickte mich weg. Ich sollte später wieder kommen und ich dachte doch, dass im Hause des Herren für jeden Platz wäre. Wie naiv von mir. Heute brauche ich nur den Fernseher und Computer anzuschalten, um zu sehen wie der abartige, unverständliche Wahn und das irrationale Handeln von Fanatikern als der "Wille Gottes" bezeichnet wird. Ich muss nur einige Hassvideos im Netz betrachten, um friedvolle Religionen in den trüben Augen von Mördern zu sehen. Doch langsam frage ich mich, ob der Glaube an eine höhere Macht, egal ob Buddha, Jesus oder Muhammed, nicht auch etwas Gutes, etwas Tröstendes hat. Was sonst bleibt uns denn?
Die Wissenschaft hat über den Glauben gesiegt, das war mit erschreckender Präzision zwingend und keiner würde es heute wohl leugnen. Doch gibt es dadurch keinen Gott mehr? Nein, denn die Wissenschaft ist zu ihrem eigenen Gott geworden und sie produziert schon seit einiger Zeit ihre eigenen Wunder. Die Raumfahrt, vollelektronische Kommunikation, die moderne Medizin und Biogenetik sind diese Wunder. Diese werden wir unseren Kindern erzählen und nichts über einen gewissen Jesus von Nazareth, der Blinde heilen und über Wasser laufen konnte. Alte Geschichten von der unbefleckten Empfängnis, sprechenden Dornenbüschen, Geister in Tauben und ein sich teilender Ozean sind bedeutungslos geworden und können mit den neuen Wundern nicht mithalten. Zumindest sind diese Errungenschaften, diese modernen Wunder der Beweis, dass die Wissenschaft alles erklären kann und auf einfach alles eine Antwort weiß. Der Sieg der Wissenschaft hat allerdings einen sehr hohen Preis gefordert. Zwar haben wir moderne Geräte, die uns die tägliche Arbeit erleichtern, neue Medien, die uns bequem unterhalten und die moderne Medizin, die unsere Gesundheit unglaublich verbessert, doch hat uns all dies eine verstörte Realität erschaffen. Die Technologie, die uns einen sollte, teilt uns. Wir sind zwar heute alle über das Internet mit der ganzen Welt verbunden, doch fühlen wir uns einsamer als je zuvor. Wir verbrinden Abend allein vor dem PC um mit irgendwelchen, weit entfernten Menschen zu reden, als um die Menschen in unserer direkten, realen Umgebung zu kümmern. Wundert es deshalb jemanden, dass der Mensch trübseeliger, sozialverwahrloster, niedergeschlagener und mutloser ist als je zuvor in der Geschichte ist? Wir geraten außer Kontrolle. Alles wird schneller, hektischer, rastloser. Heute regieren Apathie, Chaos und Zynismus die Welt und wir glauben lieber an Zahlen, Fakten und Formeln, als an universelle Werte wie Nächstenliebe, Toleranz oder Verständnis. Wir sind nicht mehr Gottes einzigartige Schöpfung, sondern ein unbedeutender Fleck im Universum, ein kosmischer Zu- und Unfall. Diese bittere Erkenntnis hat uns zu einer geteilten, hektischen Spezies werden lassen, die den Weg in ihre eigene Zerstörung lachend geht. Immer auf der Suche nach noch kleineren Computerchips und größerem Profit. Nach noch kleineren Packungen mit weniger Nährwert, aber oberflächlicher Befriedigung. Wer kann es sich in einer so schnellen Welt überhaupt noch erlauben, auch nur eine Sekunde anzuhalten und über die Folgen unseres Handelns nachzudenken? Aber warum auch, denn die gesamte Komplexität des Universums wurde in eine Vielzahl von komplizierten mathematischen Formel erklärt, die für jederman frei zugänglich sind. Doch leider sind diese für den Laien kaum verständlich und so wurde sogar der Selbstwert des Menschen zerstört. Es gab eine Zeit in der der Mensch etwas Besonderes war. Heute sind wir zu einer Zahl in einem binären System abgewertet. Eine unter vielen. Austauschbar. Unpersönlich. Nichtig. Entweder man ist eine 1 und etwas oder eine 0 und das in jeder Hinsicht.
Meiner Meinung nach ist für die Kirche viel zu vieles heilig. Für die Wissenschaft allerdings zu wenig. Lest die Bibel, den Koran oder die Vedas-Schriften. Überall wimmelt es von Regeln, seitenweise Verhaltensvorschläge, Endlossätze voller Vorschriften und tonnenschwere Bücher voller Verboten. Wenn ihr euch dann eine Wissenschaftliche Arbeit zur Hand nehmt, werdet ihr schnell bemerken, dass diese frei von Wegweisern und Wertungen ist. Es geht hunderte Seiten über die Atombombe. Was man dafür benötig, wie man sie herstellt und wie man ein Maximum an Zerstörung erreicht. Das Kapitel über die moralische Verantwortung, sittliche Regeln und ethische Bedenken dieser Entdeckung fehlt allerdings. Ich finde, dass wir unser Verantwortungsgefühl aufgegeben haben. Oder wann bist du das letzte Mal in der S-Bahn aufgestanden, als jemand belästigt wurde? Wann hast du das letzte Mal einer alten Frau deinen Platz angeboten? Wann der freundlichen Bäckersfrau ein nettes Lächeln geschenkt? Jeder ist für sein Leben selbst verantwortlich und eure Seele gehört nur euch selbst und keinem anderen. Weder die Wissenschaft noch die Religion kann euch wirkliche zufrieden machen. Denn darum geht es im Grunde doch. Das man sein Leben so lebt, dass man damit leben kann, dass man selbst darauf stolz ist und sein Spiegelbild jeden Morgen mit einem Lächeln begrüßt. Wer das nicht kann, hat die Macht es zu ändern. Am besten heute noch. Am besten gleich. Jetzt.
Jetzt könnt ihr nicht mehr sagen, dass ihr es nicht wusstet. Wer jetzt nicht handelt verdient es nicht anders.