Heute in der F.A.S.
Eine Bestätigung meiner Theorie, daß gerade die, die am lautesten gegen die Homosexualität wettern, das nur machen um von ihrer eigenen, unterdrückten Homosexualität abzulenken.
Hallo Norbert Geis
Der Sündenfall des Pastors
Erwischt: Ted Haggard, prominenter Aktivist der Evangelikalen, unterhielt jahrelang eine schwule Beziehung und nahm Drogen.
Von Katja Gelinsky
Ted Haggard ist ein Visionär. Zumindest hält er sich für einen. Als Student sah er voraus, daß er Pastor werden würde. Das war in den siebziger Jahren. Die Erkenntnis überkam ihn nachts in der Küche, als er sich Müsli zubereitete, während er einem Fernsehprediger zuhörte. In den achtziger Jahren hatte Haggard die Vision, daß er eine Kirche gründen werde. Diesmal hielt er sich nicht in der Küche auf, sondern in den Bergen von Colorado, wo er drei Tage betete und fastete.
Da verwundert es eigentlich, daß Ted Haggard nicht auch seinen spektakulären Absturz hat kommen sehen. Anfang des Monats galt "Pastor Ted", wie er von seinen Anhängern genannt wurde, noch als einer der einflußreichsten evangelikalen Führer der Vereinigten Staaten. Bis ein homosexueller Callboy seine langjährige "Geschäftsbeziehung" zu dem Prediger offenbarte. Die Bombe platzte ausgerechnet wenige Tage vor den Kongreßwahlen, bei denen die Republikaner auf die Unterstützung ihrer religiös-konservativen Basis hofften. Plötzlich stand Ted Haggard, der bewunderte Gründer und Führer der erfolgreichen "New Life Church" und Präsident der evangelikalen Dachorganisation "National Association of Evangelicals" (NAE), die rund dreißig Millionen konservative amerikanische Christen repräsentiert, als homosexueller Ehebrecher und Heuchler da.
Wie prominent Haggard war, läßt sich schon daran ablesen, daß das Weiße Haus schleunigst auf Distanz zu dem gefallenen Pastor ging, der sich einst damit brüstete, er vermittle der Regierung Bush "den Puls der evangelikalen Welt". Haggard habe nur "ein paar Mal" an den wöchentlichen Konferenzschaltungen evangelikaler Führer mit dem Weißen Haus teilgenommen, sagte ein Regierungssprecher. Auch die Besuche des Megakirchengründers im Weißen Haus sollen im nachhinein nichts Besonderes gewesen sein; dort seien schon viele Leute gewesen. Offenbar hatten aber auch ausländische Staatschefs den Eindruck, Haggard habe einen guten Draht zum amerikanischen Präsidenten. So hat der britische Premierminister Tony Blair den Pastor aus Colorado Springs angeblich um Rat gefragt, wie Bush von einem Schuldenerlaß für die Entwicklungsländer überzeugt werden könne. Außerdem reiste Haggard mit einer Delegation evangelikaler Führer nach Israel, wo er dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten Unterstützung für seine Politik versprach.
Manche sagten deshalb sogar voraus, Pastor Ted sei auf dem besten Weg, ähnlich einflußreich wie der evangelikale Präsidentenberater Billy Graham zu werden.
Eine Chance, die mit dem Skandal vertan ist. Auch wenn Details von Haggards Sündenfall noch unklar sind, steht doch fest, daß Pastor Ted seine Frau Gayle, seine fünf Kinder und Millionen evangelikaler Gläubiger über Jahre hinters Licht geführt hat. Öffentlich predigte er das "Heilige" der Ehe und geißelte Homosexualität als "Abweichung vom Plan des Schöpfers für menschliche Sexualität". Heimlich bewegte sich der Präsident des Evangelikalenverbands jedoch selbst in der Schwulenszene. Den Kontakt zu dem 49 Jahre alten Callboy Mike Jones aus Denver hatte Haggard über das Internet geknüpft. Jones behauptete in Interviews, der Pastor habe ihn unter Verschleierung seiner Identität fast jeden Monat und das drei Jahre lang für sexuelle Dienste bezahlt. Manchmal habe "Art" noch zusätzlich "Speed" gekauft, um das sexuelle Erlebnis zu steigern. Durchs Fernsehen erfuhr der Callboy schließlich, daß sein treuer Kunde in Wahrheit Ted Haggard hieß und sich energisch für ein Verbot der Homosexuellenehe einsetzte. Darüber war Jones so erbost, daß er beschloß, dem "Heuchler" das Handwerk zu legen. Der Skandal hat die Wähler in Colorado allerdings nicht davon abgehalten, am vergangenen Dienstag mehrheitlich für ein Verfassungsverbot der Homoehe zu stimmen.
Als Haggard mit den Vorwürfen konfrontiert wurde, gab er nach einer kurzen Phase heftigen Leugnens an, er habe sich von Jones massieren lassen und Methamphetamine von ihm gekauft. Doch habe er weder Sex mit dem Callboy gehabt noch die Rauschmittel eingenommen, versicherte der Prediger Journalisten. Von diesen Angaben distanzierte er sich dann allerdings in einem Entschuldigungsbrief an seine Kirchengemeinde. Er habe sich "sexueller Unmoral" schuldig gemacht, teilte er den rund 14 000 Mitgliedern der "New Life Church" mit. Die Anschuldigungen gegen ihn seien "nicht alle wahr". Aber genug sei wahr, um ihn aus dem Amt zu entfernen.
Mit Haggards Fall geht die Ära eines Mannes zu Ende, der vieles von dem vereint, was die evangelikale Bewegung in den Vereinigten Staaten so erfolgreich gemacht hat: offensiv und emotional praktizierte Religiosität, die Skeptikern oft befremdlich naiv erscheint, gepaart mit Bodenständigkeit und Pragmatismus, wenn es um das Management einer Großkirche geht. Haggard präsentierte sich nicht nur als Visionär, der an das Wirken von Engeln und Dämonen glaubt. Er war zugleich ein hemdsärmeliger Pastor zum Anfassen. Und cleverer Marketingstratege, wie selbst seine Kritiker sagen. Haggard galt bis zu seinem Sturz als einer der modernen evangelikalen Führer, deren breite Agenda breite Massen anspricht. Pastor Ted predigte zwar stramm konservative Familienwerte. Er engagierte sich aber auch für Themen wie Menschenrechte und Umweltschutz. Auch in wirtschaftspolitische Debatten schaltete der Präsident des Evangelikalenverbandes sich ein - als Verfechter der freien Marktwirtschaft. "Freie Märkte haben den Armen mehr geholfen, als jede Wohlfahrtsorganisation das je könnte", argumentierte Haggard, der Bush einst bei einem Treffen in Washington zur Abschaffung von Stahlzöllen gedrängt hatte. Aber außergewöhnlich eng ist der Schulterschluß der Regierung Bush mit den Evangelikalen aus Sicht des NAE-Präsidenten nie gewesen. Am meisten habe sich das Weiße Haus unter Bill Clinton um die evangelikalen Christen bemüht. Clinton habe sich wirklich "sehr angestrengt"; nur sei er bedauerlicherweise ein "Sexsüchtiger" gewesen, bemerkte Haggard einmal in einem Interview. Damals führte er selbst schon sein heimliches Doppelleben - wenn es denn stimmt, was der Callboy Mike Jones über die Dauer der Beziehung gesagt hat.
Unter Evangelikalen hat der Sündenfall von Pastor Ted Zweifel daran verstärkt, ob es der eigenen Sache tatsächlich dienlich sei, wenn Führer ihrer Bewegung prominente Rollen auf der politischen Bühne übernehmen. Ein Fehltritt bringe - wie nun im Fall Haggard geschehen - schnell die gesamte evangelikale Bewegung in Verruf, klagt der evangelikale Pastor und Kolumnist Gordon MacDonald, der Vorsitzender des evangelikalen Hilfswerks "World Relief" ist. Er sei sich nicht sicher, ob die mehr als dreißig Millionen evangelikalen Christen gewollt hätten, daß Ted Haggard oder sonstwer in ihrem Namen in Nachrichtensendungen und Fernsehshows zu gesellschaftspolitischen Themen spreche.
So schnell wird man von Pastor Ted aber vermutlich auch nicht wieder hören. Denn Haggard hat eine Langzeittherapie begonnen. Hilfe dabei hat die Homosexuellen-Vereinigung "Soul Force" angeboten, die den Pastor als "Opfer religiös bedingter Engstirnigkeit" betrachtet, aus der er sich durch sein "Coming out" befreien müsse. Aber daraus wird wohl nichts. Denn Haggards "moralische Heilung" wird schon von zwei evangelikalen Pastoren und dem bekannten Streiter für traditionelle Familienwerte, James Dobson, von der Organisation "Focus on the Family" überwacht.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.11.2006, Nr. 45 / Seite 68