heute in des FAS
Ich verstehe es wirklich nicht, selbst als medizinischer Laie müsste man doch irgendwann eine Grenze ziehen
Der tödliche Leichtsinn der Doper
Leistungssteigerung bis zum Umfallen: Was nicht nachweisbar ist, wird bedenkenlos geschluckt
Von Anno Hecker
Frankfurt. Neulich ist dem hartgesottenen Dopingaufklärer Werner Franke beim Studium von Dopingdokumenten schlecht geworden. Das will was heißen. Der Heidelberger Molekularbiologe hat in dreißig Jahren so ziemlich alles gelesen und gesehen, was an teuflischen Manipulationen und furchtbaren Nebenwirkungen im Sport der Doper möglich ist. Jetzt zeigte sich der Professor erschüttert vom Mißbrauch wichtiger Medikamente. Was Schwerkranken verschrieben wird, glauben risikofreudige Athleten und ihr skrupelloses Umfeld als Treibmittel für Ruhm und Ehre nutzen zu können. In Dopingmittelsendungen von Deutschland nach Spanien, vermutlich an die Adresse des Blutpanschers Fuentes, befand sich auch Synacthen. Das ist ein weiterer Beweis, wie verzweifelt in der Branche nach Starkmachern gesucht wird: Synacthen hilft Menschen mit multipler Sklerose. An Aufklärung hat es in den vergangenen zwei Jahrzehnten kaum gefehlt. Die Unterlagen der Staatssicherheit der DDR belegten Staatsdoping mit nicht zugelassenen Mitteln und beschrieben die Nebenwirkungen: von den tiefen Stimmen der Mädchen über das Brustwachstum bei Männern oder die Entstehung von Leberkrebs. Im Radsport wurde der "Pot Belge" als aufputschende Cocktailmischung aus Kokain, Marihuana, Heroin, Amphetamin und Koffein der Öffentlichkeit bekannt. Eine Flut von Artikeln, Büchern, die Berliner Dopingprozesse und Lebensbeichten vergifteter Sportler schienen alles und alle aufzuklären. Der ehemalige Radprofi Jörg Paffrath berichtete dem "Spiegel" 1997 von seinen pharmakologischen Kuren: von 24 Medikamenten als Leistungstherapie und vom Konsum bei den Kollegen: daß nämlich "kaum einer die Tour mit Wasser und Pasta" fahre. Die Reaktion: Hohn und Spott für die Kronzeugen sowie ein ausgefeilteres, noch risikoreicheres Dopingprogramm. In Amerika vertrieb das Labor Balco Designerdrogen. Das Wachstumshormon entwickelte sich zum Standardprogramm eines Manipulateurs, obwohl Wissenschaftler streiten, ob mit der Einnahme die Leistung wächst. Sicher ist nur, daß die Doper wachsen. Zumindest die Organe, der Unterkiefer, die Zunge, die Nase; Zähne driften auseinander, und auf der Stirn können sich Wülste bilden.
Die Reflexion ist so verkümmert, daß Sportler Substanzen einwerfen, die nicht mal alle klinischen Testreihen durchlaufen haben. Der Hormonexperte Martin Bidlingmaier berichtete der "taz" im Februar von einer britischen Studie, der zufolge 90 Prozent der Befragten Dopingmittel einnähmen, wenn sie nicht entdeckt würden, aber zum Sieg führten. 40 Prozent seien (theoretisch) bereit, mögliche tödliche Nebenwirkungen zu riskieren. Über die Todesursache von 13 Sportlern in den vergangenen drei Jahren rätseln seriöse Mediziner. Bei den Verstorbenen im Alter zwischen 16 und 45, es handelte sich um aktive und ehemalige Radprofis, wurden weder Herzerkrankungen festgestellt, noch konnte ein Dopingnachweis geführt werden. Die hohe Sterblichkeitsrate könnte nach Ansicht von Kardiologen indirekt aber doch mit leistungssteigernden Substanzen zusammenhängen: Eine dauerhafte Überbelastung - ausgelöst durch Doping - wird als Ursache tödlicher Herzrhythmusstörungen in Ruhe nicht ausgeschlossen.
Ob die Skrupellosigkeit schon so weit reicht, Gendoping auszuprobieren, ist nicht sicher. Allerdings hatte sich der Sprinttrainer Thomas Springstein via Internet schon mal über Repoxygen erkundigt. Mäusen half Repoxygen auf die Sprünge, weil es in der Muskelzelle die Produktion von Erythropoietin anregt. Bidlingmaier aber warnt: "Ich glaube, daß jemand, der mit Repoxygen herumhantiert und es sich spritzt, eher krank wird." Auch der Hersteller von Synacthen spart nicht mit Aufklärung. Zwei DIN-A4-Seiten beschreiben mögliche Nebenwirkungen. Die Liste beginnt bei Übelkeit und führt über Sehnenrisse, Leberfunktionsstörungen und Herzinsuffizienzen bis hin zu einem besonderen Warnhinweis: "Synacthen darf nur unter ärztlicher Überwachung appliziert werden", schreibt der Hersteller Novartis. Daß die Gefahr mit dem Medikament geschluckt wird, hängt vermutlich mit einem unschätzbaren Vorteil - aus Sicht des Dopers - zusammen. Denn erst in den vergangenen Tagen hat das Kölner Dopinglabor nach Angaben von Dr. Hans Geyer ein Nachweisverfahren für Synacthen gefunden. Das erklärt auch, warum das Medikament jetzt erst ein Thema geworden ist. Dabei schilderte Jörg Paffrath die Einnahme schon 1997.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 20.08.2006, Nr. 33 / Seite 21