2. Start beim Berlin Marathon - Mein battle mit dem Mann mit dem Hammer.
Ich erspare Euch alle Details meine wackligen Nerven die Wochen und Tage vorm Wettkampf. Ich wäre mir am liebsten selbst aus dem Weg gegangen. Am Mittwoch mittag hab ich mit einer Kollegin über den Wettkampf gesprochen: Sie fuhr mit dem Finger der Streckenkarte nach, erzählte mit leuchtenden Augen wie toll das ist, wo ich überall vorbei komme und wie großartig es sein muß, allein am Ende durchs Brandenburger Tor zu laufen. Da bekam ich zum ersten Mal Gänsehaut und begann mich zu freuen.
Allerdings ging meine Stimmung innerhalb von wenigen Stunden in pure Angst über und ich überlegte zwischen Donnerstag und Samstag Abend mehrfach ob überhaupt starten oder nicht. Der einzige Grund zu starten war der Gedanke, daß ich dieses Mal in Ziel kommen will. Nicht wieder draußen zu sitzen, nicht wieder in der Klinik zu landen, nicht wieder dei Traurigkeit am Ende. Aber: wie groß wäre die Traurigkeit erst, wenn es wieder schief geht?
Es siegte am Ende meine Konsequenz etwas zu Ende zu bringen, was ich mit meinem Los im Oktober 2014 begonnen hatte. Also ging es am Sonntag den 27.09. an den Start.
Die Temperatur war perfekt, meine Mutter und ich standen im Startblock und so verging auch die an sich lange Zeit zwischen betreten den Startblocks un eigentlichem Überschreiten der Startlinie recht gut.
Ich lief mit meiner Mutter los, nach gut 2 km übergaben wir meinem Vater unsere Laufjacken und es ging weiter. Nach gut einem weiteren Kilometer beschlossen wir getrennt weiter zu laufen. Ich war einfach einen Tick schneller unterwegs und so trabte ich davon. Nach km 8 traf ich zum ersten Mal Ines, die wohl zu dem Zeitpunkt ordentlich fror. Ich bekam Cola und lief weiter. Meine Gedanken gingen spazieren, streiften die Erinnerungen im vergangen Jahr, ich schaute mir die anderen Läufer und die Zuschauer an, genoß die Stimmung an der Strecke, die Musik... Berlin ist da einfach genial. So liefen sich die Kilometer dahin und ich merkte, daß es gut lief, meine Zeit schneller als der 5-Stunden-durchkommen-Plan war und ich fand alles schön. Zu wurde ich auch nicht hektisch, als Ines nicht direkt bei km 13 stand, sondern lief einfach weiter und freute mich, als ich sie sah. Bei km 18 war sie dann wieder da und hat mich leider mit der Information, daß ich schlecht aussehen würde kurz aus dem Konzept gebracht. Mir ging es gut, ich hatte Spaß und war absolut guter Dinge. Daß sie ein Stück neben mir herlaufen wollte fand ich natürlich schön, laufe ich doch im Training auch kaum allein. Ines organisierte mir sogar eine Toilette in einer Bäckerei an der Strecke - das war schon der Hammer und danach lief ich tatsächlich meinen schnellsten Kilometer. Bei Halbmarathon hab ich nur mit einem Blick auf die Uhr registriert, daß ich gut liege und weiter ging es. Ines wollte mir über die kritischen Kilometer hinweghelfen, damit ich nicht zuviel über den Ausstieg im letzten Jahr ins Grübeln komme. Ich hatte mir jedoch mittlerweile eine Strategie zurecht gelegt und die ging voll auf. Ich lief einfach glücklich vor mich hin. Ich war froh, daß ich an den Start gegangen bin! Ines entdeckte kurz vor mir meine Mutter und wir liefen auf sie auf. Da meine Mutter an keiner Verpflegungsstation etwas brauchte und ich regelmäßig gekühlt habe, haben wir uns an diesen Stellen immer wieder überholt, sind dann aber sofort wieder getrennt weiter gelaufen.
Bei km 30 merkte ich, daß ich etwas langsamer wurde, aber letztendlich kam es auf Durchkommen an und keinesfalls auf Bestzeit und wenn nicht sub 5, ist es auch ok. Bei km 31 entdeckte ich dann Frank an der Strecke. Wir tauschten uns kurz aus und er fuhr ein Stück voraus. Beruhigend mit so einem Top-Team am Start zu sein.
Ines war dann nach km 34 wieder bei mir und ich merkte zwar, daß ich weniger gesprächig wurde, weil ich mich schon sehr konzentrieren mußte und das Genießen der Strecke etwas in den Hintergrund trat, aber ich lief ja auch Marathon und ging nicht spazieren. Ich bin gut im konzentriert Laufen geworden und mich fasziniert selbst am meisten, daß ich so lange ohne Gehpausen laufen kann, egal ob irgendwas weh tut oder nicht.
Da ich so weit hinten gestartet bin, überholte ich quasi von Anfang an und jeder Mensch mehr gab mir Auftrieb, ich wußte zwar, daß die 5 Stunden kaum mehr zu schaffen waren, aber als es nicht mal mehr 10 km bis zum Ziel waren, wußte ich, daß ich den Rest sogar im Wandern schaffen kann. Das ist ein unglaublich beruhigendes Gefühl!
Auf der Potsdamer Straße mit Blick auf den Potsdamer Platz wurde es dann allerdings Realität. Meine Knie wurden weich, mein Kreislauf verabschiedete sich und lebte gefühlt in meinen Waden ein trauriges Restdasein weiter. Ich kämpfte gegen Schwindelgefühl und Druck auf den Ohren an und fühlte mich fatal an die Gefühle im letzten Jahr erinnert. Und an das Ende der Geschichte... Also: NICHT Hinsetzen, schon gar NIE NICHT hinlegen, NICHTS unbekanntes essen oder trinken. Einfach weitergehen, weitergehen, weitergehen. Uschi meinte vorher noch: jeder Schritt bringt Dich Richtung Ziel. Zu diesem Zeitpunkt waren auch irgendwie alle da: Ines, meine Mutter, Frank... und ich wanderte. Blick auf die Uhr: die 5 Stunden sind weg. Herausholen kann ich so ja eh nichts mehr. Kein Beschleunigen auf den letzten 5 km wie in München. Die Verluste werden sich mehr bermerkbar machen als in Roth. Also kann ich auch gleich kapitulieren und weiterwandern. Aber ich dachte in Sekunden an alles. An Peter, an Nils, an alle die mich in den vergangen Wettkämpfen, davor, dazwischen, danach irgendwie begleitet und beraten haben. Ich kühlte nochmal richtig runter, ich wanderte weiter... im Bewußtsein, daß ich richtig schnell wandern kann.
Und da sprachen meine Beine plötzlich wieder an! Das Gefühl JETZT loslaufen zu müssen. Ich wurde schneller, lief wieder los... und es ging! Ich trank nochmal einen kräftigen Schluck Cola... Frank hatte die Flasche, die ich zuletzt Ines gegeben hatte. Ich hatte keinen Kopf mehr für Gespräche oder Fragen. Ines war weg. Meine Mutter erklärte mir, daß sie mir mir bis zum Ziel laufen wird, egal ob ich laufe oder wandern würde. Frank meinte er würde dann nach Hause fahren, wenn ich nichts mehr brauche und ich nickte und wußte: den Rest tragen mich meine Beine und mein Kopf ins Ziel. Mich beherrschte nur noch ein Gedanke: ich will diese Sch...-Medaille haben! Km 38. 39. 40. Frank nochmal an der Strecke! 41. Wo war das Brandenburger Tor hin? Ich kenne mich in der Ecke aus, aber es war weg... Ich zupfe Shirt, Rock, Startnummer und Frisur zurecht. Irgendwann muß es ja in Ziel gehen und ich will ein ordentliches Bild von mir. Aber wo war dieses Ziel??? Soweit kann es doch nicht mehr sein... Meine Mutter beruhigte mich... nur noch einmal abbiegen. Und genau so war es. Glinkastraße. Unter den Linden. Die Qadrige. Das riesige Tor. Ich dachte an meine Kollegin und ich spürte wie die Emotionen hoch stiegen. Es gab heute eh zig Momente, wo mir die Tränen in die Augen stiegen. Das kostet wirklich Kraft - aber ist einfach auch schön.
Ich lief mit Tränen in den Augen überglücklich durchs Brandenburger Tor. Die Erinnerung, wann ich da das erste Mal durchgelaufen bin. Die Schmerzen waren vergessen, meine Beine liefen einfach Schritt für Schritt auf den blauen Zielbogen zu. Ich war einfach nur noch glücklich, ich lief mit meiner Mutter zusammen ins Ziel, ich hab nicht nur das Tief in der Potsdamer Straße überwunden, ich hab die offene Rechnung mit dem Marathon in Berlin beglichen und hab doch tatsächlich innerhalb von einem Jahr 3 Marathons ins Ziel gebracht. Dinge, die ich nie geglaubt hätte. Ich hatte einen Plan B im Kopf, wo ich dieses Jahr noch laufen könnte, wenn es wieder schief gehen sollte. Aber es ist nicht nötig. Daß es dieses Mal nichts mit den sub5 wurde ist zweitrangig. Ich fühlte mich gut, ich hab neue Strategien ausprobiert und sie haben funktioniert. Ich bin in Gedanken in München und in Roth gewesen, bin mit Carolin gelaufen, mit Peter, Nils und alle, die in Roth für mich an der Strecke waren, waren im Kopf bei mir, ich hab die Musik und die Menschen auf mich wirken lassen und war glücklich, daß Kleidung, Verpflegung und Betreuung funktioniert haben, wie ich es erhofft hatte.
Und im Ziel traf ich den riesigen Plüsch-Fridolin und ließ mich mit ihm photograhieren.
Danke an alle, die mit guten Wünschen und aufmunternden Worten für mich da waren. Allein wäre es deutlich härter, wenn nicht gar unmöglich gewesen.
Ich sitze jetzt mit zwei Blasen an den Zehen (leider wieder), schmerzenden Beinen und eine schmerzenden Stelle am Rücken zu Hause und bin unglaublich froh, daß ich das Projekt Berlin Marathon zu Ende gebracht habe. Ich bin gespannt, ob ich morgen dienstlich halbwegs geradeaus laufen kann und in Schuhe passe, die den Terminen angemessen sind...
Und vielleicht war es doch nicht der letzte...
_________________ 06.05.2012 Caldera Blanca 12.10.2014 - München Marathon * 12.07.2015 - Challenge Roth * 27.09.2015 - Berlin Marathon * 25.09.2016 - Berlin Marathon * 27. - 30.11.2016 Lanzarote Running Challenge * 10.12.2016 Lanzarote Marathon * 09.07.2017 Challenge Roth
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