Anja hat Marathon – Ein Drama in 1 ½ Akten.
Rückblick – was bisher geschah:
Wenn 10 gehen, dann geht auch ein Halbmarathon. Wenn ein Halbmarathon geht, geht auch ein Marathon. Oder?
Und mal eben seinen Namen auf so eine Meldeseite eintippen, wo eh Losverfahren besteht ist ja total unkompliziert. Dann wird frau ausgelost. Ups. Dann kann frau ja kaum die Anmeldefrist verstreichen lassen. Und dann steht plötzlich ein Datum im Kalender: 28.09.2014
Das Training läuft so dahin, der Winter ist mild, am 06.01. läutet man das Sportjahr mit einem Dreikönigslauf ein. Dann der eine oder andere Durchhänger – aber da ja bekannt ist, daß Wettkampfziele zum Training motivieren, gibt es im April den 10er am Flughaben BER und im Mai den 25er in Berlin. Paß. Läuft. Alles super. Am Rothsee wurde mir das klar, was ich eigentlich seit Jahren weiß: Ich brauch Menschen um mich, ich brauch Publikum, ich will Spaß haben.
Nach dem Challenge begannen die berühmten letzten 10 Wochen. Steffny war mein treuer Begleiter. Nix passte zu meinem Leben. Ich trainierte was ging, jede Woche einen längeren bis langen lauf, 2 – 3 kürzere Läufe. Meist nur 2. Hin und wieder etwas Radfahren. Ende August Walchsee. Höhenflug. Alles gut. Danach das übliche Nachwettkampftief. Ich wollte nicht mehr trainieren. Aber ich musste. Noch vier Wochen. Lange Läufe. Der 30er. Dazwischen versuchen schneller zu laufen. Gleichmäßer. Am Essen herumprobieren. Was am Abend zuvor, was morgen, was zwischendurch, was danach? Was anziehen? Was wie mitnehmen? Ich wollte alles richtig machen. Ich wollte alles perfekt machen. Ich war mir sicher ich kann es, ich wüsste nicht was ich noch hätte machen können außer mehr Einheiten trainieren. Aber gut – dann wandere ich halt am Ende. Ich kann super wandern. Bis ins Ziel.
1. Akt: Generalprobe?!
4 Tage Urlaub Ende September. Entspannt anreisen. Wettkampf, Entspannt heimreisen.
So war der Plan.
Am 25.09. schon frei um den Streß der Arbeit ablegen zu können. Am 26.09. nach Berlin. Am 27.09. nur bekanntes Essen und trinken, keine Experimente. Am 28.09. mein erster Marathonstart. Der 41. Berlin-Marathon und ich bin dabei.
Alles perfekt durchorganisiert. Wann ich aufstehe, wann ich was frühstücke, was ich anziehe, was ich einpacke, wann ich losgehe.
Ich lackierte mir die Nägel frisch, ich schminke mich. Schließlich wollte ich fein für den Ausflug durch die Stadt sein. Toller Tag. Mir tropfte vermutlich das Adrenalin aus den Ohren, aber ich fands nur noch toll.
Gut ich hatte das ganze Wochenende meine Eltern dabei, da meine Mutter bei ihrem zweiten Marathon mit mir starten wollte, aber es lief recht gut.
Mit vielen guten Wünschen versorgt ging ich in den Startbereich, meine Mutter neben mir. Wir beide gut gelaunt, Vorfreude auf meinen ersten Marathon.
Es lief super. Nach 2,5 km meine Jacke abgegeben, mehrfach meine Freundin Sandra an der Strecke gesehen. Sightseeing, Musik, Spaß. Es lief einfach. Schritt für Schritt dem Ziel entgegen. Km 5, 10, 15, 20… Schon Halbmarathon! Der frohe Gedanke, daß die Hälfte schon geschafft ist. Gels und Cola mit meinen selbst gemischten Zusätzen dabei. Alles wunderbar! ALLES wunderbar?
Da merkte ich wie es mir irgendwie komisch wurde. Die Energie kam nicht an, ich wollte ein wenig langsamer laufen. Gehen. Anlehnen. Da eine Straßenlampe. Ich will mich nur kurz anlehnen, weil mir so schwindelig wurde. Hinsetzen. Jetzt sofort. Ich saß am Boden. Dann kam eine Sanitäterin, kramte in ihrem Rucksack. Sie hatte Wasser und Kaffee-Mix-Getränke mit. Ich nahm einen Schluck Wasser. Sie meinte der Zucker und das Koffein im Kaffee würde mich wieder aufputschen. Also davon getrunken. Versucht aufzustehen. Mir wird schwarz vor Augen. Wieder hingesetzt. Wieder hoch. Wieder schwarz. Wieder gesetzt. Langsamer hoch. Gewartet. Wieder losgelaufen. Es ging. Langsamer, aber es ging. Plötzlich wieder das Bedürfnis zu wandern. Zu gehen. Ganz langsam. Hinsetzen. Suchend schau ich um mich. Leichte Panik kommt hoch. Ich hab Magenschmerzen, mir wird schwindelig. Ich setze mich an den Straßenrand. Es kamen zwei Ärzte. Sie suchten meinen Puls, hatten aber keine Uhr mit um ihn zu zählen. Sie hatten kein Blutdruckmeßgerät aber einen Devi. SO schlimm war es nun doch nicht. Einige Diskussionen zu aufhören vs. weiterlaufen. Zwei Versuche Aufzustehen scheiterten. Mir wurde sofort schwindelig und ich setzte mich wieder hin. Ich hab dann meine Mutter davon überzeugt allein weiter zu laufen, ich gehe, wenn es mir besser geht zur U-Bahn und fahre damit nach Hause. Sie war weg, ich saß noch da. Aber es wurde nicht besser. Ich fühlte mich einfach nicht nach „zur U-Bahn gehen“. Als der nächste Versuche aufzustehen und zu gehen auch scheiterte, entschieden die Ärzte mich in die Klinik bringen zu lassen. So kam es dann auch. Ich saß am Straßenrand, wartete auf den Sanka, dann ins Krankenhaus. Ich hatte zum Glück mein Handy, so daß ich alle an der Strecke und die Leute zu Hause am Rechner informieren konnte.
Frank war mittlerweile im Ziel und er und Sandra kamen zu mir ins Krankenhaus und holten mich ab.
Ich war wie in Watte. DAS war mein erster Marathon? So endet mein Berlin-Marathon? Den ich so visualisiert hatte? Wo ich die Strecke kannte, wo ich wusste auf was ich mich freue, wo ich allein beim Gedanken an den Zieleinlauf Tränen in den Augen hatte?
Das war nur ein ½ Akt. So kann es nicht aufhören.
Am Sonntag noch wahnsinnig gefroren, keinen Hunger gehabt – alles war doof. Spät abends saß ich vorm Rechner und haben Marathon-Kalender gewälzt.
Liebe Menschen schrieben mir „Komm zu uns nach München, bekommst professionelle Betreuung“, „ Noch ein Versuch? Du kannst ja mehr als Du heute gezeigt hast“ oder „was meinst Du zu Frankfurt… noch mal ne Chance und heute nur Training“, „ich hab eine Startplatz für Dich“. Ich wusste aber nicht was ich will.
Gleich anmelden und einfach weitertrainieren? Pause wie geplant für einige Wochen und im nächsten Jahr ein Frühjahrsmarathon? Nie mehr Wettkämpfe? Aber dann war das ganze Training, die ganze Arbeit in diesem Jahr umsonst. Oder doch nicht? Hab ich es doch nicht drauf? Hab ich gedacht ich kann Marathon laufen und bin einfach doch zu schlecht trainiert, war es Jahre zu früh, hab ich mich völlig in die Illusion verstiegen ich könnte sowas? Ich war so froh, daß nur wenige wussten, daß ich am Start war. Ich war frustriert, traurig, depressiv. Ich lief weiter, weil ich den Rhythmus drin hatte. Ich wurde 4 Tage später krank. Halsschmerzen, Schnupfen. Ich fühlte mich furchtbar. Nicht wegen der Erkältung, aber weil das alles schief ging. Woher kam das? Was war passiert? Warum hat mich mein Körper so im Stich gelassen?
Liebe aufmunternde Telefonate. Das Beste war mit Michael. Ich hab mich selten so verstanden gefühlt. Nachrichten auf allen möglichen Wegen. Aber ich kam kaum raus aus dem Tief. Ich hatte versagt und ich wusste nicht warum. Das war das schlimmer für mich. Ich wusste nicht was ich anders, besser machen könnte.
Am 12.10. München Marathon. Am 26.10. Frankfurt Marathon.
Beide haben vor und Nachteile.
Die Entscheidung fiel vor allem aus zwei Gründen für München: die räumliche Nähe und daß ich dann nur noch zwei Wochen laufen muß, bis ich Pause machen darf. Ein ganzes Jahr war auf 28.09. ausgerichtet. Und jetzt konnte ich nicht ewig so weitermachen.
Eine Freundin besorgte mir einen Blitztermin beim Internisten. EKG. Herzultraschall. Alles ok. Wettkampffreigabe! Vielleicht wars der Infekt, der schon drin steckte. Oder irgendwas anderes. Mein Körper wollte nicht mehr, also war das ein Zeichen. Punkt. Nix dramatisches meinte er, solange das Herz ok ist.
Hier bei den Emus mein Tief ausgelebt. Meine Zweifel. Meine Unsicherheit. Soviel Zuspruch erhalten. Aber auch wieder neue Zweifel in meinem Kopf. Sinnfragen. Samstag das Posting von Cruiser. Keep on running. Mit Peter Kontakt aufgenommen. Ausgetauscht. Mich wahnsinnig gemacht. Ihn auch. Komm her, wir kriegen das hin. Meinte er. Ich hab ihm vertraut. Er versprach mir auch Nutella. Das hat mich überzeugt.
2. Akt: Keep on running!
Also bin ich am 11.10. mittags los. Nochmals gezweifelt ob ich fahren sollte. Aber gefahren. Ich zieh das jetzt durch. Anmeldung, Messe, zu Peter und Celine fahren.
Es war die seltsamste Hawaii-Nacht seit Jahren. Ich wurde liebevoll umsorgt, Peter jubelte mir trotz meines Wunsches nach alkoholfreiem Bier eines mit unter, das ich jedoch erst recht spät merkte. Auch egal. Die Nudeln waren lecker, die Gespräche gut. Das Bier auch. Ich ging irgendwann ins Bett weil Peter meinte, das wäre wichtig.
Sonntag früh. Aufstehen, anziehen, Sachen packen. Ich bin ziemlich nervös. Kaffee und Nutellabrot. Andererseits fehlt dieser Plan im Kopf wie ich ihn vor Berlin hatte. Nix visualisiert. Nur immer am Punkt „nicht panisch werden vor km 23“ gearbeitet.
Peter brachte mich zum Start, dort meine Eltern getroffen und – Frank! Neben meinem Rundumsorglospaket hatte ich jetzt auch noch meinen Special-Streckensupport, der mich ja schon über den 25er gebracht hat.
Alles gut. Alles gut! Alles gut? Ja. Mehr geht nicht. Welch eine Überraschung.
Peter hat uns fröhlich plaudernd zum Start gebracht und erklärt er lässt mich jetzt erstmal nicht allein. Gab wohl einfach noch mehr zu erzählen. Peter plauderte, Peter rannte um mich herum, machte Photos (die ich später bei FB wieder fand) und war bester Dinge. Ich weiß nicht, ob mich das ruhiger machte oder fokussierter auf das Rennen – aber es lenkte mich komplett ab. Ich überlegte, wem ich jetzt alles erzählt habe, daß ich starte. Es war so kurzfristig. Eigentlich hätten es von Anfang an einige Menschen mehr verdient gehabt davon zu wissen. Weil sie sicher mit mir mitgefiebert und auch mitgelitten hätten. Andererseits – so ist es jetzt. Ich laufe – jetzt kann ich eh niemanden mehr Bescheid sagen. Nils, die Maus, Crema, Wagnerli, Maultäschle – ich hätte es ihnen allen sagen können.
Bei km 3 meinte Peter das wäre jetzt Quatsch rauszugehen, er bleibt bis km 5. Kurz vor km 5 schwor mich Peter auf die km im Englischen Garten ein. Genießen. Abschalten. Einfach laufen. Kein Gedanke an Marathon. Alles gut. Mit einem letzten Tschakaaa!!! wurde ich verabschiedet. Und trabte weiter.
Der Weg in und durch den Englischen Garten war für mich durch frühere Läufe vertraut. Schön hier. Einfach laufen, weil es schön ist. Bäume, Büsche,… BÜSCHE! Meine Blase sprach eh schon mit mir und meldete Ansprüche an, so dachte ich, daß neben dem Tiergarten in Berlin auch der Englische Garten ein Recht auf Düngung hatte.
Wir hatten uns beim 5 Stunden-Ballon einsortiert. Ja, sowas gab es! Mit einer großen Menge anderer Läufer. Schön. Trotzdem immer wieder der Blick auf die Uhr, die Kilometerschilder. Rechnen. Nochmal rechnen. Tick zu schnell. Frank signalisierte mir ein „mach langsamer“. Ich nickte und machte langsamer.
Zwischendurch angefangen mich zu ernähren. Cola ohne Zusätze, Dextro Gels. In einer guten Mischung aus Plan und Gefühl. Die Läufer um mich herum blieb mein Team natürlich nicht verborgen und ich wurde beneidet und bewundert für mein Top Team. Ja klar – ich hatte die besten. Was jahrelang anders herum trainiert und eingespielt war, funktioniert auch dann, wenn ich auf der Strecke bin. Tschakaaa!!! Geht’s mir hier gut!
Meine Gedanken fingen an spazieren zu gehen. Wo wäre ich bei diesem km zu Hause? Wo war ich bei diesem km in Berlin? Da war Peter schon wieder da. Heißt schon km 15. Und ich zum Glück ungeknipst das zweite Mal raus aus dem Gebüsch Puh, Glück gehabt. Kein „mit xy im Gebüsch im Englischen Garten“ auf FB!
Ich fing an mit den Menschen um mich herum zu plaudern, weil es für mich so entspannt war. Langsamer unterwegs als in Berlin. Aber immer noch sub 5. Aber meine Mutter war heute unkommunikativ, da es ihr nicht gut ging. Hoffentlich wird das nicht noch zum Problem… Gedanken wegschieben. Bei km 18 Gevatter Tod überholt. Paßt. Das Wetter ist super, ausreichend Wasserstellen um mich ausgiebig runter zu kühlen. Ausreichend Frank und Peter, daß ich genug zu essen und zu trinken habe. Kann man bei einem Marathon eigentlich zunehmen, wenn man soviel futtert. Egal. Was zählt die Waage. Aber geht das nun? Ok, ein neuer Gedanke, der mich eine Weile beschäftige.
Ups, da stand schon Celine! Also schon über 20 km. Fast die Hälfte. Halbmarathon. Die Hälfte! Alles wunderbar? Wirklich? Sicher? Nicht wieder Schwindel? Wird es nicht wieder dunkel? Da am Rand vom Gesichtfeld? Vielleicht doch? Ich merkte was in meinem Kopf passierte und dachte an die offene Blase auf der zweiten Zehe links. Die hab ich mir auf der Messe geholt. Aua, die tat echt weh. Mensch ich hätte da doch das Blasenpflaster drauf machen sollen. So ein Ärger, eingepackt war es doch. Puh, Kurve gekriegt. Natürlich blieb es heute hell. Ich trinke nichts Fremdes, nichts mit Zusätzen, ich trinke mehr, ich hab Cola ohne Ende ich bin top begleitet. Alles wunderbar! Tschakaaa!!!
An einer Verpflegungsstelle (was ich hier alles deutlich entspannter fand als in Berlin) sah ich plötzlich Andi, meinen Radler vom Walchsee mit einem Wasserbecher stehen. Ich schrie ihn an, riß ihm die Becher aus der Hand, fiel ihm um den Hals - und rannte weiter. Welch eine witzige Begebenheit, daß ich hier jemanden an der Strecke finde, den ich kenne! Meine Gedanken wanderte zu früheren Veranstaltungen, wo ich an der Strecke stand. Bei meinem ersten Mal Zuschauen in Frankfurt umarmte mich Thomas Heubach, der nicht damit rechnete, daß ich da stand. Auf Lanza verbeugte sich mein Lieblingsjapaner Manabu Ueda vor mir, als er mich gegen 21:30 Uhr an der Strecke erkannte. Dieses Jahr in Roth Felix. Wen hab ich über die Jahre alles kennengelernt! Welche tolle Erlebnisse! Und die besten sind immer noch da. Da. DA! Frank rechts an der Strecke und mal links. Immer der wachsame Blick ob ich was brauche.
Ich treffe bei km 24 einen Läufer wieder, der am Anfang feststellte, daß ihm auffällt, daß mein Motivator wohl weg sei, weil es so still um uns ist und ob er auch eine Pizza bestellen kann, wenn ich „Gel, Orange“ bestellen kann. Geistig sehe ich schon Frank ins Papas Ape an der Strecke stehen. Also zum Läufer: ich wusste von ihm schon, daß es so rund sein 125. Marathon ist. Ich hielt ihn für den Routinier, der das alles mit Links läuft. Er beneidete mich um den Energieschub, den er bei Erststartern immer zum Ende erlebt. Erzählte mir seine Mentaltricks. Fand ich gut. Bei 25 an der Wasserstelle hab ich ihn verloren.
KM 28. Da wieder Peter! Mit einem „ich bin dann mal da und lauf dann mal wieder mit“ – mir recht – wird sicher lustig. Dann kam die Info, daß ihm Frank das Reden verboten hätte. Ich war irritiert. Warum das Reden verboten, ich hab mich jetzt schon ein wenig auf quatschen gefreut. Andererseits sagt Frank ja sowas nicht ohne Grund. Ja – es ging zulasten der Konzentration, wenn ich zuviel mit Peter quatschte.
Peter erzählte mir was davon, daß er der Mann mit der Peitsche wäre. Der Gedanke kreiste im Orbit meines marathon-endorphin-überschwemmten Gehirn. Ich fing an darüber nachzudenken, warum mir Ines letzten geraten hat Shades of Grey zu lesen. Oder nicht. Oder doch? Ich bekam die Geschichte nicht mehr zusammen. Sah Peter aber wie eine Mischung aus Zorro und einer männlichen Domina vor Augen. Irritiertender Gedanke. Wie hieß der Comic mit der Maus die Zorro spielte? Mir fällt es nicht ein. Da! Links! Werbung für ein Geschäft für Bekleidung. Irgendwas mit Domination? Spinnt mein Gehirn jetzt völlig? Ich schieb den Gedanken zurück ins Orbit. Ich lauf mal weiter.
Wie geht’s eigentlich meiner Mutter? Hm – ich glaub nicht so gut. Aber… mein Marathon… mein Lauf… ich will… ich will dieses verdammte Ziel… ich will die Medaille. Ich will die sub 5…
Km 32 Celine an der Strecke. Sie zieht sich gerade um, will ein Stück mit mir mitlaufen. Zu dem Zeitpunkt mache ich mit meiner Mutter regelmäßig kleinere Pausen. Ihr geht’s nicht gut. Aber sie allein lassen geht auch nicht. Mein Gehirn reagiert. Natürlich wäre es genial mit Celine eine Pacemaker zu haben, zu schauen was geht noch, auch mit ihr ein Stück der Strecke zu genießen – aber zu dritt wird das nichts. Also übergebe ich ihr meine Mutter und laufe los. Laufe. Laufe. Laufe! Ja, keine Verantwortung mehr, kein Blick nach rechts, ob ich nicht langsamer machen müßte. Aber auch niemand der mich bremst. Aber ist jetzt noch die Notwendigkeit zu bremsen? Jetzt ist die Zeit zu laufen! Noch 10 km. Wie Rothsee-Triathlon. Wie letzte Woche in Nürnberg. Nur ich darf langsamer laufen! Das ist ja prima und richtig was los!
Es ging in die Innenstadt. Wow. Publikum. Musik. Schwieriges Thema in München. Gibt nicht soviel und teilweise hat es was von Beerdigung. Ich such in der Musikbox meines Gehirns, aber es kommt nix. Na gut, dann halt ohne Musik. Marienplatz. Wow, was für eine Gebäude. Spinn ich? Kommen mir Tränen, weil ich über den Marienplatz laufe? Sollte ich vielleicht lieber an was anderes denken? Rechts das Lokal in dem ich 2007 im Betriebsausflug war. Was hab ich da gleich gegessen? Essen, trinken? Soviel zu sehen. Menschen, Autos, mitten drin der MANschaftsbus. Ich denke über die Leben der Menschen nach an denen ich vorbei laufe. Wie empfinden sie uns Läufer? Was denkt sich die alte Nonne? Was die zwei alten Zwillingsdamen? Was die Reisegruppe Japaner? Menschen in Cafés… Ein Martinshorn. Blaulicht. Keine negativen Gedanken! Mein Gott, ist München eine schöne Stadt! Tolle Gebäude, weite Plätze, Kirchen.
Ich sehe den 5er Ballon nicht mehr. Den muß ich irgendwo verloren haben. Vermutlich zwischen Verpflegung und mich um meine Mutter kümmern. Mist. Wo ist das Ding? Mein Gehirn kann gerade nicht mehr so ganz richtig rechnen. 33 x 7… 4:xx:xx : 33? Häh? Was lauf ich da eigentlich. Was für ein Kilometer? Nochmal von vorn… Frank! Meine Rechenhilfe muß ran. Er sagt ich bin knapp über 5, aber ich soll vorsichtig sein. Gute Idee. Lauf schneller aber lauf Dich nicht kaputt. Ich überlege was ich noch an Energie hab. Meinen Activator trau ich mir nicht trinken. Schade, für sowas war er eigentlich. Bzw. doch eigentlich für „es geht nix mehr“ – und so ist es ja nicht. Aus dem Lautsprechner kommt „Applaus, Applaus…“ das war für mich. Tränchen im Augenwinkel, ich fordere Unterstützung vom Publikum. Verd….. ich laufe um Euch zu unterhalten! Es funktioniert, ich werde ein Stück weiter Richtung Ziel geschoben!
Ich fange an den Ballon in weiter Ferne zu fixieren. Der orange Punkt da vorne… und dann versuchte ich vorsichtig anzuziehen. Zäh… wirklich näher kam ich nicht. Winkliger Kurs, teilweise sehe ich ihn nicht. Egal, näher kommen. Mein hörbarer Atem war mein Limiter. Es lief. Frank sagte mir meine Sekunden Rückstand auf den 5:00 Ballon an. Noch 20 Sekunden. Noch 15… das geht… Ungefähr KM 38. Das ist ja nicht mal mehr meine kleine Kanalrunde bis ins Ziel!
Mir fällt Carolin und Thorsten ein, die meinten ich könnte im nächsten Jahr nach Biel mitkommen. Bis dahin könnte ich auch Marathon laufen. War zu dem Zeitpunkt nicht vorstellbar. Anja kann Marathon? Nie und nimmer. Oder vielleicht doch?
Ich dachte an Peter, der mich morgens schon auf Überholen am Ende einschwor. Ich dachte an Frank, der mir geraten hat Windschatten zu suchen. Ich dachte an meine Beine, die brav ihren Dienst taten. Da tat nix weh. Äh… wenn ich so genau überlege tat eigentlich alles weh. Unfug. Gedanken fliegen zum Olympiastadion. Da darf ich bald einlaufen. Wo ist es eigentlich… Schwupps… Peter wieder an der Strecke. Schreit mich an. Freut sich für mich. Wieder ein Bild. Ich kannte seine Ankündigung, daß er es hochlädt, wenn es gut läuft. Ich freu mich. Ja, es läuft gut! Peter schickt mich mit einem Klaps auf den letzten Kilometer. KM 41. Der Mann mit der Peitsche. Mr. Grey. Ich bin zum Glück nur noch auf Ziel fixiert, der Gedanke flog auch weiter. Meine Mutter bei Celine – Haken dahinter. Die Menschen, die wissen, daß ich starte, haben jetzt ein Bild davon, wie es mir geht. Haken dahinter. Ziel in 1 km. Ich überhole nur noch. Ich will ins Ziel. ICH WILL DA JETZT EINLAUFEN. ICH WILL DIE MEDAILLE. Kann man jetzt noch umkippen? Unfug! ICH LAUFE JETZT MEINEN ERSTEN MARATHON INS ZIEL. MEINEN ERSTEN MARATHON. MARATHON. MARATHONTOR. LICHTER. MUSIK. STADIONRUNDE. ZIEL. ZIEL!!! Ich sehe die Bruttozeit und denke nur, wenn ich brutto unter der 5 bleibe, bin ich es netto auch. Angezogen. Zielsprint. Verd…. die Beine können immer noch. Das Münchener Kindl. Medaillenmädels im Dirndl. Willkommen in München. Willkommen im Ziel meines ersten Marathons. Im Stadion lief „An Tagen wie diesen…“ Die Tränen liefen. Eine Frau stand lächelnd an der Bande. Sie verstand mich. Ich heulte noch mehr. Jemand fragte mich ob ich einen Sani brauch. Nein, wozu? Ich heul doch nur. Es war so unbeschreiblich. Leider niemand von meinem Team auf der Tribüne zu erkennen. Handy rausgeholt. Das erste war ein Glückwunsch vorm Start, dann kamen die ersten Glückwünsche. Sandra, Ines, Carolin – alle freuten sich mit mir. Der 2. Akt ist vollendet. Jetzt ist es gut.
Nachwort:
Fast genauso verpflegt wie beim 25er. Ich hab mich nicht an die für km 20 angemischte Cola-Malto-Mischung herangetraut. Keine Experimente an der Strecke. Gut gekühlt – da man in München auch 6 Becher Wasser bekommt ohne weggeschoben zu werden. Immer gut gefühlt, jeden negativen Gedanken geschafft wegzuschieben. Mein Körper hat mitgespielt. Ich kann es. Das Gefühl in Berlin versagt zu haben hat sich gemildert. Zwei Starts. Ein Ziel. Es ist einfach nur schön.
Was Peter, Celine und Frank heute für mich gemacht haben war einfach großartig. Danke und nochmals Danke. Auch an Louisa die sich um mich sorgte, weil ich ja Marathon habe – und das für eine schlimme Krankheit hielt. Ist es vermutlich auch. Ich tippe auf unheilbar. Denn mein Körper sagt: es wäre noch länger gegangen. Aber man muß es ja nicht übertreiben. Vielleicht ja auch schneller. Dieses Jahr nicht. Aber es gibt ja noch so vieles was ich mal ausprobieren könnte.
Thorsten schrieb ich bin ein MU5. Ich glaub ich will einen neuen Benutzerrang.
Danke für die Glückwünsche in den letzten Tagen. Danke fürs Lesen. Es wurde ein wenig länger. Aber ich hab ja auch viel erlebt mit meinen 1,5 Marathons.
Die Nacht danach kaum 2 Stunden geschlafen. Man hätte bei mir diese kleinen Energiefläschen abfüllen können, die man aus den Computerspielen kennt.
Ich fühl mich immer noch super. Leichte Schmerzen in den Beinen. Auch 24 Stunden später kein zusätzlicher Muskelkater. Treppen gehe ich vorwärts runter. Ich überlege, wann ich das nächste Mal laufen gehe. Die Medaille ist in München wie ein Lebkuchenherz geformt. Ich würde sie am liebsten immer mit mir herumtragen. Aber das wichtigste trag ich im Herzen. Ich hab es geschafft! Ich kann Marathonlaufen! Und ich hab die besten Freunde der Welt.
_________________ 06.05.2012 Caldera Blanca 12.10.2014 - München Marathon * 12.07.2015 - Challenge Roth * 27.09.2015 - Berlin Marathon * 25.09.2016 - Berlin Marathon * 27. - 30.11.2016 Lanzarote Running Challenge * 10.12.2016 Lanzarote Marathon * 09.07.2017 Challenge Roth
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