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 Betreff des Beitrags: Einen schönen Advent wünsche ich Euch
BeitragVerfasst: 06 Dez 2007 11:55 
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Eiermann U3 Emu
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Registriert: 18 Apr 2007 14:52
Beiträge: 9609
Wohnort: Obergiesing
Kurz vor Weihnachten war es, da brach eine bittere Kälte ein. Die Witterungsperiode sollte länger anhalten, als es die Städter anfangs dachten. Sie bemerkten es zuerst am kalten Wind, der durch die U-Bahn-Schächte zog und den letzten Mief des Sommers von dort vertrieb. Eilig flog er durch die engen Gänge und machte, dass die Städter fröstelnd die Krägen ihrer Mäntel hochstellten. Der Wind war niemals bis hier unten gekommen und somit auch nicht der Winter. Klebrige Hitze herrschte ständig in den Katakomben, aus den Heizungen quoll stickige Luft. Die Einwohner der Stadt waren es nicht anders gewohnt. So wunderten sie sich über den eisigen Wind. "Sibirische Kälte", sagte Herr Schulze wohl wissend und nickte ihnen zu, als sie, wie bereits erzählt, ihre Krägen hochstellten. Herr Schulze erinnerte sich an früher, als er seine Tage noch nicht hier unten verbringen musste. Er hatte in einer Altbauwohnung, nahe der großen Parks gewohnt und dem Schneetreiben zugeschaut. Mit seiner Frau. Dann war er hier herunter gekommen, in die Katakomben, saß dort auf einer Decke und hielt seinen Hut den Vorübereilenden hin. Nur sein Hund Hans leistete ihm Gesellschaft. Zeit hatte er genug, der Herr Schulze. Viel mehr Zeit als all die anderen, die er nur vorbei rasen sah. Er sah die Zipfel ihrer Mäntel, das wehende lange Haar der Frauen, schnell tappende, eilig rennende schwarze Schuhe, die hohe Absätze hatten, wenn sie von Damen getragen wurden. Besonders in der Vorweihnachtszeit war es schlimm. "Die Leute genießen nicht mehr", sagte er zu Hans und fütterte ihn mit einer Bratwurst, die jemand fort geworfen hatte. Er beobachtete auch, dass niemand sich die Zeit nahm, die wunderbaren Lichter des Tannenbaums, der auf dem Marktplatz der Stadt aufgestellt worden war, zu betrachten. Hunderte von Lichtern waren das. Und sah man in sie hinein, war das wie eine kleine Reise. Eine Reise in seine eigene Welt der Wünsche. Das hatte Herr Schulze festgestellt, denn jeden Tag stand er vor dem Tannenbaum und schaute in die Lichter hinein. Und sie sangen keine Weihnachtslieder mehr. Herr Schulze hörte sie überhaupt nie singen. Oh Du fröhliche, das mochte er. Aber hier war ja niemand fröhlich. Nicht mal über die Bären, die im Schaufenster des Kaufhauses unermüdlich schufteten. Sie rannten nur, die Leute. Und hatten sie Appetit auf Bratäpfel oder Plätzchen oder Lebkuchen, weil ihre Großeltern davon erzählt hatten, dann gingen sie in die Supermärkte und kauften in Plastik gehülltes Gebäck, das künstliches Zimtaroma enthielt. Weihnachten, so wusste Herr Schulze, war vor allem das Hin- und Herschleppen riesiger Einkaufstüten.

Und nun hatte Frost Einzug gehalten. Man bemerkte es also zunächst am Wind in den Katakomben. Dann froren die kleinen Teiche zu und der Fluss, der sich mitten durch die Stadt schlängelte. Was der Winter aber dann mit den Leuten machte, das hätte selbst Herr Schulze nicht erraten: der Winter lähmte die Stadt. Er lähmte zuerst als die Dinge, die die Menschen dazu brachten, ständig zu rennen, zu schubsen und zu drängeln. Dann lähmte er sie selbst.

Der Winter machte, dass die Gleise der städtischen Verkehrsgesellschaft zufroren. Sie froren so, dass keine Bahn mehr fahren konnte. Und da auch die Autos der Städter nicht mehr ansprangen, war es unmöglich geworden, zur Arbeit zu gehen. Die Leute blieben zu Hause. Blieben zu Hause und ärgerten sich. Denn zu Hause war es langweilig. Nichts gab es zu tun. Und da sogar die Kaufhäuser geschlossen hatten, konnten sie nicht einmal zum Einkaufen gehen. Sie blieben daheim und wunderten sich, plötzlich die Muße zu haben, ihren Partner anzusehen. Und sie stellten fest, wie schön das war. Großes Glück hatten auch die Kinder, denn sie mussten weder zur Schule noch in den Kindergarten gehen. Und sie waren es auch, die in den Keller gingen und den alten, lang nicht mehr benutzten Schlitten hervorkramten. So bevölkerte sich langsam der Rodelberg der Stadt.

Irgendwann fielen die Heizungen aus, denn auch im Heizkraftwerk arbeitete niemand mehr. Kalt wurde es in den Wohnungen. Und die Kälte lähmte die Muskeln der Menschen, die sich fortan nur noch langsam bewegen konnten. Wie durch eine Zeitlupe betrachtet kam ihnen ihr Leben vor. Alles brauchte seine Minuten und seine Stunden und so wurden sich die Menschen der Zeit bewusst, die sie täglich mit diesem oder jenem verbrachten. Und da die Heizungen ausgefallen waren, rückten sie näher zusammen. Sie trafen sich bei denen, die einen Kamin oder einen Ofen hatten, schlürften Glühwein und heißen Tee und erinnerten sich an früher, als die Teddybären noch mit Stroh und wie die Weihnachtsgänse gefüllt waren.

Am Weihnachtsabend saßen Herr Schulze und Hans ganz allein und bibbernd auf ihrem Platz in den Katakomben. Sie froren jämmerlich und Herr Schulze wähnte sich dem Tode nah, als eine Familie vor ihm stehen blieb. "Möchten sie nicht mit zu uns kommen? Dort ist es warm." Sagte der Familienvater und das kleine Mädchen und der kleine Junge lächelten ihn an. Herr Schulze zögerte nicht lange und begleitete sie, Hans auf dem Arm.

So war das also in der Stadt, als die eisige Kälte einzog. Und so blieb es, bis der Wind in den Katakomben wärmer wurde und die Sträucher erste Knospen zeigten.

geschrieben von: AB im Dezember 2001 ©

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